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Ausgabe 52 TITELTHEMA

Der letzte Keks für mich

In dieser Ausgabe des Kaktus dreht sich alles um Egoismus. Dazu gehört auch das Thema Altruismus. Der Vergleich beider Haltungen zeigt, warum egoistisch zu sein manchmal nicht so schlecht ist, wie es klingt.

„Was für eine Handelsweise bevorzugst du eigentlich – eine altruistische oder eine egoistische?“ Würde man sich die Mühe machen, seinen Mitmenschen diese Frage zu stellen, aus welchem Grund auch immer, erhielte man zunächst nur ein verwirrtes Stirnrunzeln und ein halbherziges „Wie kommst du denn jetzt darauf?“ als Antwort.

Dann, nach ein paar verstrichenen Sekunden der Bedenkzeit, sind die Reaktionen der Befragten nicht mehr ganz so einheitlich.

Egoismus.

Altruismus.

Die Worte purzeln aus den Mündern der Befragten, weitschweifende Erklärungen folgen ihnen.

 Doch wissen wir überhaupt, wie die beiden Begriffe korrekt definiert sind? – Das Wörterbuch jedenfalls bezeichnet Altruismus als eine „durch Rücksicht auf andere genommene Denk- und Handelsweise“, weitere Synonyme sind „Selbstlosigkeit“, „Uneigennützigkeit“, etc.

Es ist offenbar, wie die meisten von uns es wahrscheinlich schon vermutet haben, das „Gegenstück zum Egoismus“. Unter dem Begriff „Egoismus“ finden sich in meinem Wörterbuch weitere Schlagbegriffe wie etwa „Selbstsucht“ oder „Ichsucht“.

Um die rhetorische Frage zu beantworten, die ich ein paar Zeilen zuvor gestellt habe:

Ja. Ja, wir wussten bereits, was die korrekte Definition von „Egoismus“ ist, weil wir nämlich insgeheim alle Egoisten sind, so sehr wir uns auch wünschten, wir wären es nicht.

 Es macht auch keinen Sinn, groß um diese Tatsache herumzudiskutieren; ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass ich nicht die Einzige sein kann, die sich regelmäßig den letzten Schokoladenkeks aus der Keksdose nimmt und dabei eventuelle Nervenzusammenbrüche anderer Keksliebhaber ignoriert. (Wer sich nicht mit diesem Beispiel identifizieren kann, mag anscheinend, aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund, keine Schokolade oder keine Kekse. Aber keine Sorge, das ist in Ordnung, da sich mein kleines Beispiel auch auf andere Objekte übertragen lässt, sei es auf Chips, Pizzastücke oder Kuchen.)

Einige der Befragten befürworten jedenfalls nicht nur eine egoistische Handelsweise, sondern sind außerdem der Meinung, Egoismus sei gar nicht mal so schlecht für das Allgemeinwohl, wie es sonst immer angenommen wird. Begründet wird ihre Aussage mit dem Sprichwort: „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist auch an jeden gedacht.“

Hier ist es besonders geeignet, auf ein sozialwissenschaftliches Modell, auch als „Tragik der Allmende“ oder auch „Tragik des Allgemeinguts“ bekannt, hinzuweisen. Mir ist durchaus bewusst, dass dies keiner der Begriffe ist, die oft im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet werden, aber dennoch kann man dieses Phänomen sehr oft in verschiedenen Alltagssituationen wiedererkennen.

Stellen wir uns doch mal zur Veranschaulichung vor, wir befänden uns in einem Imbiss. Die Luft ist stickig und Gespräche übertönen das geschäftige Treiben des Personals. Wir schlendern zur Theke hinüber und greifen gedankenverloren in die Besteckablage, nur um dann erschrocken feststellen zu müssen, dass seltsamerweise sämtliche Gabeln verschwunden sind. Wir schütteln also überrascht den Kopf und fragen den Imbiss-Besitzer, ob er uns vielleicht sagen könnte, wo die Gabeln denn hin seien, normalerweise seien hier nämlich noch mehr Kunden und selbst dann gäbe es immer noch Gabeln. Der Imbiss-Besitzer schaut jedoch nur etwas ratlos in die leere Besteckablage und zuckt dann bedauernd mit den Schultern. Er weiß auch nicht, wo die Gabeln sind. Eigentlich ist der Verbleib der Gabeln aber kein allzu großes Geheimnis. „Es sind ja noch so viele Gabeln da. Schadet ja niemandem, wenn ich mir eine nehme.“ Anscheinend haben viele unserer Mitmenschen diesen Gedanken. Sie nehmen sich eine Gabel, um sie für den persönlichen Nutzen zu verwenden. Ich meine, es ist ja nur eine, oder nicht? An mögliche Konsequenzen denken nur wenige, wenn überhaupt. Wieso auch? Es sind ja nur Gabeln, oder?

 Ja, gut, dieses Beispiel ist ja noch vergleichsweise harmlos im Gegensatz zu den vielen weitaus schlimmeren Themen, auf die sich das Modell der Tragik der Allmende beziehen könnte. („Ist ja nur noch eine luftverschmutzende Fabrik, die wir bauen.“) Wir halten also fest, dass Egoismus sehr wohl negative Auswirkungen auf das Allgemeinwohl haben kann, womit ich aber nicht zum Ausdruck bringen möchte, dass Egoismus eine durch und durch verwerfliche Charaktereigenschaft ist, die ausschließlich negative Konsequenzen mit sich bringt, denn das stimmt so nicht.

 Das kann man auch gut an den Ansagen in Flugzeugen erkennen, die vor jedem Flug von der Stewardess verlesen wird: „Sollte der Druck in der Kabine sinken, werden automatisch Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke fallen. In diesem Fall sollten Sie eine der Masken ganz zu sich heranziehen und die Öffnung fest auf Mund und Nase drücken. Helfen Sie danach bitte mitreisenden Kindern.“

Man soll also zuerst sich selbst helfen und dann erst weiteren Mitreisenden.

Das macht auch Sinn, denn ich kann mir gut vorstellen, dass es, wenn man aufgrund des Sauerstoffmangels bewusstlos in seinem Flugzeugsitz sitzt, äußerst schwer ist, sich dann noch in irgendeiner Art und Weise nützlich zu machen. Wenn man zuerst der Person neben sich helfen würde; wenn man also zuerst altruistisch handeln würde, dann wäre das in diesem Fall eher kontraproduktiv.

Wie wir sehen, erfordern verschiedene Situationen also verschiedene Maßnahmen. Vielleicht ist es in der einen Situation besser, zunächst einmal ein Egoist zu sein, manchmal ist es aber doch besser, keiner zu sein. Wann eine bestimmte Handelsweise erforderlich ist, sollte man also durch das Verwenden des eigenen gesunden Menschenverstands herausfinden, und im Zweifelsfall gibt es immer noch andere Menschen, die man mal fragen kann, wenn man sich eine zweite Meinung einholen möchte.

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