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Ausgabe 53 TITELTHEMA

„Our Twelve Points goes to“

Nach einjähriger Pause kam Europa dieses Jahr wieder zusammen. 26 Länder präsentierten sich im Finale des Eurovison Song Contests mit mal mehr und mal weniger einfallsreichen Auftritten. Doch was macht den ESC so besonders, dass sich etwa 180 Millionen Zuschauer dieses Spektakel jedes Jahr aufs Neue anschauen?

Kommen wir zunächst zu den wichtigsten Informationen. Der Eurovision Songcontest gilt als der älteste internationale Musikwettbewerb der Welt, wurde seit 1956 fast jedes Jahr ausgestrahlt und wird von der European Broadcasting Union (EBU) ausgerichtet. Wer den ESC verfolgt, weiß, dass auch einige Länder, beispielsweise Israel, Zypern und Armenien, an dem Wettbewerb teilnehmen dürfen, obwohl diese nicht zu Europa gehören, da die EBU auch für Sender außerhalb Europas zugänglich ist. Das Konzept des Wettbewerbs besteht darin, dass alle Länder, die nicht zu den sogenannten „Big Five“ (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien) gehören, sich zunächst in den Halbfinalen für das große Finale qualifizieren müssen. Die Mitglieder der „Big Five“ hingegen sind fest im Finale vertreten, da ohne diese die Zuschauerzahlen erheblich sinken würden. Generell wird im Voraus von jedem teilnehmenden Land ein Interpret ausgesucht, der dieses dann beim ESC vertritt. Während des Finales präsentiert dann jeder Künstler seinen Titel und am Ende des Abends wird abgestimmt. Bei der Abstimmung darf nicht für das eigene Land gestimmt werden und jedes der insgesamt 56 teilnahmeberechtigten Länder vergibt Punkte von eins bis zwölf, von denen jeweils eine Hälfte durch die Zuschauer und die andere von einer Expertenjury verteilt werden. Dadurch erhalten nur die jeweils ersten zwölf Künstler von einem Land Punkte. Gewonnen hat am Ende das Land mit der höchsten Gesamtpunktzahl und der im nächsten Jahr folgende Wettbewerb wird dort ausgetragen.

Doch ist es nicht nur das Punktesystem, welches den ESC so besonders macht. Neben diesem Aspekt sind da unter anderem die Vielfalt von Musikrichtungen,die von Pop und klassischen Balladen bis hin zu Rock und Heavy Metal reicht und die atemberaubenden Bühnenshows, bei denen beispielsweise künstlich Donner und Regen erzeugt werden, die Interpreten in der Luft herumschweben oder Lichtmännchen die menschlichen Tänzer ersetzen. Aber was wäre der Eurovision Song Contest ohne seine wechselnden Motti, die häufig Themen wie Toleranz oder Zusammenhalt beinhalten? So sind einige Beispiele dafür „Building Bridges“, „Celebrate Diversity“ „Dare to Dream“ und das diesjährige Motto der Veranstaltung in Rotterdam „Open Up“. Die oben genannten Werte Toleranz und Offenheit zeigen sich oft auch generell beim Auftreten oder den Liedern der Künstler. Als eines der bekanntesten Beispiele dafür dient wahrscheinlich der österreichische Auftritt im Jahr 2014, bei dem Conchita Wurst, eine Kunstfigur mit langen Haaren und Bart, in einem goldenen Kleid auftrat und ihre Ballade „Rise like a Phoenix“ präsentierte, welche Millionen von Zuschauern begeisterte und schließlich Österreich den Sieg bescherte. Zwar gelang Bilal Hassani, der geschminkt und mit einer langen blonden Perücke auftrat, mit seinem Auftritt 2019 für Frankreich nicht der Sieg, aber in seinem Lied mit dem Titel „Roi“ sang er von einer Traumwelt ohne Vorurteile gegenüber Menschen, die in den Augen vieler anders seien und deshalb Anfeindungen und Ausgrenzung erleben müssten. Dies widerfuhr Hassani auch am eigenen Leibe, aber auf der ESC-Bühne wurde er respektiert, akzeptiert und konnte seinen Gefühlen Ausdruck verleihen. Zusätzlich bietet die Reichweite des Musikwettbewerbs auch für die Interpreten die Möglichkeit, ihre Karieren anzukurbeln und international bekannt zu werden, was der Kultgruppe „Abba“ durch ihren Sieg 1974 mit ihrem weltweit bekannten Hit „Waterloo“ gelang, woraufhin viele weitere Erfolge im Laufe der Jahre dazukamen.

Aber welche Erfolge konnte Deutschland mit seinen Teilnahmen am ESC erzielen und welcher Interpret wird am 22. Mai dieses Jahres das Land vertreten?

So gehört Deutschland zu den schon erwähnten „Big Five“ und ist damit immer bereits im Finale vertreten. Betrachtet man jedoch die Erfolge Deutschlands beim ESC, so fällt die Bilanz, gerade die der letzten Jahre, eher mager aus. So belegte es zwei Mal hintereinander den letzten Platz, was einem Rekord entspricht. Seit dem Sieg von Lena Meyer-Landrut 2010 lassen die deutschen Erfolge somit, bis auf Michael Schulte, der 2018 sich den vierten Platz sicherte, eher zu wünschen übrig, da hauptsächlich die hinteren Plätze belegt werden. Schaut man sich auch die Zeitspanne an, die zwischen den zwei Siegen Deutschlands liegt, so beträgt diese zwischen dem Sieg von Nicole 1982 mit ihrem Lied „Ein bisschen Frieden“ und dem von Lena Meyer-Landrut mit „Satellite“ ganze 28 Jahre. Doch kann auch positiv angemerkt werden, dass der deutsche Komponist Ralph Siegel insgesamt 24 Titel, die beim ESC präsentiert wurden, geschrieben hat und er damit einen Rekord aufstellte. Gab es vor einigen Jahren noch einen Vorentscheid, bei dem Anwärter vor den Zuschauern auftreten, diese von sich überzeugen und sich somit gegen ihre Konkurrenz behaupten mussten und das Ganze live übertragen wurde, so wird der Interpret, der Deutschland beim ESC vertritt, nun im Voraus von Musikexperten ausgewählt und erst wesentlich später der Öffentlichkeit präsentiert. So war zwar schon früh bekannt, dass Ben Dolic, der eigentlich 2020 für Deutschland antreten sollte, aber der Eurovision Song Contest aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt wurde, dieses Jahr nicht nach Rotterdam fahren wird, um Deutschland dort zu vertreten. Jedoch wurde erst kürzlich bekannt, dass Jendrik Sigwart anstelle von Dolic antreten sollte. Es bleibt abzuwarten, ob der ESC für die Zuschauer Deutschlands erneut zu einem Desaster wird oder ob diese sich bald darüber freuen können, dass die so begehrten 12 Punkte mehrmals an Deutschland vergeben werden und dies vielleicht sogar zum Sieg führen könnte.

Für viele andere Länder wie Australien, Slowenien und Malta war, im Gegensatz zu dem deutschen Interpreten, wieder der Künstler vertreten sein, der eigentlich schon 2020 beim ESC antreten sollte, wenn Corona dem nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Geplant ist nämlich, dass der Wettbewerb in diesem Jahr auf jeden Fall stattfinden wird. Ob es möglich sein wird, dass Zuschauer eingeschränkt live dabei sein können, wird erst im April entschieden und ob auch die Interpreten in die Niederlanden reisen oder deren Performances nur abgespielt werden, ist stark von dem weiteren Verlauf der Pandemie abhängig. Um dies entscheiden zu können, wurden mehrere Szenarien entwickelt.

Kommt man auf die Ausgangsfrage, ob der ESC nur eine langweilige Musikshow ist , zurück, so lässt sich diese definitiv verneinen, da der Musikwettbewerb sehr viele Aspekte unabhängig des Gesangs zu bieten hat, welche sich neben der gegebenen Unterhaltung durch die Bühnenshows auch auf die Vermittlung von Werten wie Toleranz und Offenheit  und  auch auf den Zusammenhalt sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas beziehen. Somit ist der Eurovision Song Contest die Gelegenheit, Differenzen zwischen den Ländern zumindest zeitweise zu vergessen  und sich einfach auf atemberaubende und einzigartige Auftritte konzentrieren zu können. Daher können sich zum einen die eingefleischten ESC-Fans, aber auch Neuzugänge auf das große Spektakel jedes Jahr aufs Neue freuen.

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