Kategorien
Ausgabe 54 TITELTHEMA VOR ORT

Der Unverpacktladen in Varel

Die Atmosphäre im Laden ist ruhig, entspannt, angenehm. Im Hintergrund läuft leise Musik, alles wirkt geräumig und ohne Stress. Direkt an der Tür werden wir freundlich empfangen.

Andra Weidemann hat zwei Kinder, ist gelernte Einzelhändlerin und wechselte nach der Geburt ihrer Kinder vom Textil- in den Lebensmittelbereich. Zunächst bei einem großen Konzern arbeitend, merkte sie schnell, wie viel Müll dieser produzierte und entschied sich, die Veränderung selbst in die Hand zu nehmen.

Kaktus: „Unverpackt ist im Vergleich zur Lebensmittelindustrie ja weniger bis ohne Verpackungsmüll. Warum ist das eine Alternative zu den großen Einkaufsläden?“

„Es wird einfach unglaublich viel Einwegmüll produziert und es wird immer mehr.  Es wird nicht offengelegt, wie unglaublich viel Müll ins Ausland auf Mülldeponien geschickt und dort verbrannt wird. Und diese Luft atmen wir dann ein und da ist der Punkt, wo ich finde, dass etwas verändert werden muss. Ich will Plastik nicht verteufeln, wir kommen ohne nicht mehr aus, aber es muss nicht in diesen Massen sein.“

Kaktus: „Welche Kundschaft findet sich denn hier normalerweise?“

„Zwischen 25 und 60 Jahren, eigentlich komplett gemischt. Das sind zum einen junge Leute, die jetzt mitbekommen, was mit unserer Welt passiert, dass wir unsere Ressourcen von Jahr zu Jahr immer früher aufbrauchen, und von vornerein etwas mitverändern und [solche umweltschonenderen Projekte] unterstützen wollen. Zum anderen die Älteren, die das Ganze vor über 30 Jahren schonmal gemacht haben, bevor die ganzen Discounter und Supermärkte kamen. In allen Altersgruppen wird sich jetzt bewusstgemacht, was eigentlich mit unserer Welt passiert.“

Kaktus: „Wieso wurde Varel als Standort gewählt?“

„Wir haben zuhause privat angefangen, aber der Knackpunkt war bei mir, als ich 54 Tiefkühlpizzen weggeschmissen habe – einfach nur, weil das Lager voll war. Ja, die Firmen spenden, aber nicht alles und nicht genug für die Armut in Deutschland. Als wir das zuhause umgestellt und Stück für Stück in unseren Alltag integriert haben, habe ich gemerkt, dass hier einfach ein gewisser Weg für ein besseres Unverpackt-Netzwerk gelegt werden muss. Und da haben wir uns hier im Norden für Varel entschieden. Wir sind jetzt seit einem halben Jahr hier und sehr zufrieden, sind aber gespannt auf die Urlaubssaison. Mittlerweile haben wir sowohl Stammkunden als auch Neulinge, die sich gerne an die Hand nehmen lassen, um Stück für Stück etwas zu verändern.“

Kaktus: „Man sollte sich also nicht direkt eine Vollveränderung vornehmen?“

„Genau. Vielleicht will man sich beispielsweise lieber erstmal nur auf das Bad konzentrieren, oder die Ernährung, man merkt ja relativ schnell, was einem liegt. Auch kleine Veränderung bewirken schon etwas, wenn der Rest nach und nach kommt, ist ein Erfolg viel wahrscheinlicher.“

Kaktus: „Man könnte ja einfach verpackte Produkte kaufen, die auspacken und als unverpackt präsentieren – Woher kommen die Produkte?“

„Na klar, ich könnte theoretisch in den Discounter gehen, für günstige Preise einkaufen, auspacken und umfüllen – das ist aber nicht Sinn und Zweck der Sache. Das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Die Produkte kommen von großen Biohändlern, mittlerweile fast 20 verschiedene Händler, welche entweder nur Bio oder Bio und Fair[-trade] zusammenpacken, also auch noch auf Arbeitsweise in anderen Ländern achten. Das Ganze kommt in 25 kg – [meistens Papier-] Säcken oder Pfandbehältern, also auch da sind viele Unternehmen mittlerweile so weit, dass sie sagen: Wenn du zehn Stück der Pfandbehälter [gesammelt] hast, und die bei der nächsten Bestellung abgibst, befüllen wir die dir neu.

Das heißt, solange dieser Eimer im Kreislauf bleibt, tut er der Umwelt nicht weh. Natürlich gibt es auch Produkte, die wir hier nicht anbauen können, Nüsse zum Beispiel, also regional sind nicht alle Produkte. Unsere Großhändler versuchen natürlich, aus nächstem Umfeld einzukaufen, aber Zitrusfrüchte gibt’s da auch nicht (lacht). Wir versuchen trotzdem, so viel und genau es geht, auf Bio und Demeter (Anm. d. Red.: Bio-Siegel/Richtlinien für Lebensmittel) zu achten und so gut es geht, regional und fair einzukaufen.“

Kaktus: „Sie haben gerade eben schon die Siegel erwähnt, gibt es bestimmte Siegel oder Label, auf die Sie besonders achten?“

„Demeter ist das höchste an Biostandard, was wir bekommen können, manchmal gibt es aber auch keine Demeter-Qualität. Bevor ich das Produkt dann gar nicht im Sortiment habe, nehme ich lieber den niedrigsten Biostandard mit EG-Bio. Was absolut nicht infrage kommt, sind konventionelle Sachen, aber ich finde, bei den regionalen Dingen, dass sie in Handarbeit und mit viel Bewusstsein gemacht sein sollen. Da kann ich dann auch sagen, dass wir auf das Bio verzichten können, dafür aber wissen, wo es herkommt und wie es hinter den Kulissen aussieht. Transparenz ist superwichtig.“ 

Kaktus: „Ist unverpackt deswegen auch teurer? Viele schrecken ja vor dem Preis zurück.“

„Nein, nicht unbedingt. Natürlich darf man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, aber die Verpackung ist nicht preisausgebend. Sie ist lediglich ein Werbeträger und zum Schutz des Produktes. Da wir diese weglassen, ändert das nichts am Preis [der Ware]. Dennoch sollte man schauen, dass man auch Bio mit Bio vergleicht und Bio-Standard mit Bio-Standard. Man sollte auch nicht vergessen, dass Supermärkte LKW-weise bzw. containerweise einkaufen, das können wir kleinen Läden gar nicht. Je größer ich einkaufe, desto günstiger ist der Preis, letztendlich dann auch für den Kunden.“

Kaktus: „Wie ist das hier mit Hygienestandards? Gibt es Besonderheiten aufgrund der aktuellen Pandemie?“

„Ich würde das gar nicht so großartig trennen. Wir hätten das ohne Corona nicht wirklich anders gemacht. Natürlich ist es gewünscht, dass sich alle vor Betreten die Hände desinfizieren. Wir haben unsere Zangen und Schaufeln, die in zwei verschiedenen Behältern sind, einmal benutzt und unbenutzt, vor allem weil das ja vom Kunden benutzt ist. Das wird aufgrund des Produktes also sowieso schon getrennt. Und sonst – Abstand halten, Maske tragen, die ganz normalen Auflagen halt. Aber hoffentlich ist das ja bald vorbei.“

Kaktus: „Was möchten sie unseren Lesern noch mitgeben?“

„Sucht euch Alternativen. Schreibt zum Beispiel eine Liste und schaut zuerst, was ihr in einem Unverpackt-Laden bekommt. Aber im Allgemeinen: Probiert es einfach aus und kommt mit einem Behälter vorbei!“

Wir bedanken uns bei Andra Weidemann und wünschen viel Erfolg hier in Varel.


Kategorien
Ausgabe 54 PANORAMA VOR ORT

Eure Fotos

Kategorien
Ausgabe 54 PANORAMA VOR ORT

Jetzt klappt Inklusion

Mit seiner Bahnhofsbrücke hat die Stadt Varel es in den letzten Jahren schon einige Male in Satiremagazine geschafft. Mit diesem altbekannten Problem hätte jedoch nach vielen Versprechungen Ende 2021 endlich Schluss sein sollen.

Durch den Ausbau der Bahnstrecke Oldenburg – Wilhelmshaven musste der unter Denkmalschutz stehende, 1913 erbaute Bahnübergang umgebaut und zum Teil abgerissen werden. Der Plan der deutschen Bahn sieht eine vollständige Elektrifizierung dieses Bahnabschnittes vor, nachdem sie diese Strecke zweigleisig ausbaute. Die alte Brücke wurde jedoch in einer Zeit konzipiert, in der Oberleitungen noch nicht oft verwendet wurden, sodass für den Fahrdraht nicht genug Platz vorhanden war. Der Bahn ließ das zwei Möglichkeiten, zum einen ein Anheben der alten Brücke, dadurch wäre das Gebäude zwar stehen geblieben, jedoch wäre dies sehr teuer geworden. Die zweite Option wäre ein kompletter Abriss gewesen, das war jedoch mit dem Denkmalrecht nicht vereinbar. Aus diesen Gründen wurde eine Kompromissform entwickelt, bei der die beiden Aufgänge des alten Bauwerkes stehen gelassen und direkt dahinter ein neuer Übergang gebaut wurde.

Mit dem Umbau wird zudem ein altbekanntes Problem gelöst, welches der Bahn seit etwa 14 Jahren sehr viel Kritik bereitet: die fehlende Barrierefreiheit.

Nachdem 2008 der ebenerdige Übergang zu den Gleisen zwei und drei aus Sicherheitsgründen entfernt wurde, hatten gehbehinderte Personen keine Chance mehr, mit dem aus Oldenburg kommenden Zug nach Varel zu reisen, ohne einen Umweg über Sande zu machen, damit sie auf dem richtigen Gleis ankommen. Das gleiche Problem galt auch für Radfahrer*innen und vor allem E-Bike Fahrer*innen, welche mit ihren Rädern zum Teil kaum eine Chance hatten, die Treppen hoch und auf die andere Seite zu kommen. Aber auch in der Umbauphase gab es noch weitere Probleme. So wurde ein Baugerüst als Ersatz für die gesperrte Brücke aufgestellt. Dieses brachte, wie Baugerüste es nun mal an sich haben, jedoch das Gefühl auf, nicht sehr stabil zu sein, da sich unter anderem die einzelnen Bohlen bei jedem Schritt etwas durchbogen. Dies führte dazu, dass einige Reisende nun aus Höhenangst einen Umweg fahren mussten und das alles trotz des Versprechens der Bahn, schnell eine Lösung zu finden.

So sollte bereits 2012/13 mit dem Umbau zur Barrierefreiheit begonnen werden. Dieses Versprechen sowie das darauffolgende, eine Fertigstellung bis Ende 2018, wurden nicht eingehalten. Dies führte zu viel Frust unter den Bahnfahrenden und sorgt für einige Unterschriftenaktionen so wie national ausgestrahlte satirische Fernsehbeiträge. Auch wenn sich jetzt etwas tut, den eigentlichen Zeitplan konnte die Bahn nicht einhalten. Der eigentliche Plan war eine Elektrifizierung bis 2016 und eine Zweispurigkeit bis 2012, jedoch gelang nur das Erreichen der Zweispurigkeit in diesem Streckenabschnitt. Die Elektrifizierung der gesamten Strecke bleibt bis jetzt aus.

Dies liegt unter anderem daran, dass der Boden auf der Strecke Varel-Wilhelmshaven zum Teil sehr weich ist, wodurch die Schienen nicht in einer konventionellen Weise gelegt worden konnten, sondern eine Art Brücke errichtet werden musste.

Es wird anscheinend die Zeit zeigen müssen, wann der Streckenausbau vollkommen vollendet sein wird. Die seit 14 Jahren fehlende Barrierefreiheit scheint sich in Varel jedoch zum Glück erledigt zu haben.