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Ausgabe 55 TITELTHEMA

Würde bis zuletzt

Wortwörtlich eisiger Regen erwartet uns, als wir unseren Weg Richtung „Hospiz Am Wattenmeer“ antreten. Der Regen prasselt in einem einvernehmlichen Takt auf uns ein und natürlich am Tag unseres Besuches im Hospiz hat der liebe Wetterfrosch noch eine reichliche Portion Schnee und Kälte für uns übrig, vom Wind mal ganz abgesehen.

Das Wetter verbreitet eine leicht traurige Stimmung, was dann doch wieder zu diesem Tag passt. Naja, zumindest wie wir anfangs denken, würde dies eher ein trauriger Ausflug an einen traurigen Ort werden. Wie gesagt, das denken wir anfangs… Schon vor unserem Besuch haben wir über den Tod und den Umgang mit ihm nachgedacht. Das Erste, was uns auffiel: die große Unsicherheit im Umgang mit diesem Thema. Da das Titelthema dieser Ausgabe „Unsicherheit“ ist, ist die Redaktion in einer der allwöchentlichen Diskussionsrunden auf das Thema Tod gekommen. Da hat sich erst einmal eine bedrückte Stimmung im Raum breitgemacht, die man auch als Unsicherheit identifizieren könnte. Wir waren uns alle einig: Darüber kann man schreiben und das muss man auch! Das kann doch nicht angehen, dass in unserer Gesellschaft, in der doch sonst alles laut ausgesprochen und diskutiert wird, nicht über so ein einschneidendes und wahrhaftig lebensveränderndes Thema gesprochen wird.  Ihr habt doch sicherlich schon selbst mitbekommen, dass das Thema nicht so oft angesprochen wird oder, wenn es unbedingt angesprochen werden muss, der Blick wieder schnell auf andere banale Themen abgelenkt wird, oder?

Dies liegt wahrscheinlich daran, dass es sich bei dem Tod um einen unerwarteten Schicksalsschlag handelt, der für uns unbegreifbar ist und uns unwirklich und endgültig erscheint. Mit dem Tod sind viele große Hürden verbunden, die mit der aufwendigen Pflege der Sterbenden, die oftmals durch die Familie übernommen wird, anfangen, mit dem Wunsch der Sterbenden, die Angehörigen nicht zu belasten, weitergehen und mit der eigenen Trauer enden. 

Um die Familie nicht mit einer belastenden Situation der Pflege, die neben dem Alltag gemeistert werden muss, allein zu lassen, gibt es Hospize. Dabei handelt es sich um eine stationäre Pflegeeinrichtung, die ihren Schwerpunkt darauf legt, sterbenden Menschen ein würdiges und selbstbestimmtes Leben bis zum Ende zu ermöglichen.

Über die eine oder andere dieser Tatsachen denken wir auf dem Weg zum Hospiz nach, aber vor allem denken wir auch über die Kälte nach, die uns in die Knochen kriecht. Der Regen und der Schnee versiegen glücklicherweise, doch dann haben wir mit dem zurückgebliebenen Regenwasser und Schneematsch zu kämpfen. Den Weg bringen wir trotz des Wetters und der durchnässten Schuhe hinter uns. Es stellt sich also nur noch eine Sache zwischen uns und unseren Besuch im Hospiz: der Coronatest! Zum Glück befindet sich direkt neben dem Hospiz ein Testzentrum, das die gesamte Gruppe von sieben Leuten testen kann. Das Testen geht reibungslos vorüber, doch das Regenwasser hat einen kleinen Fluss zwischen der Teststation und dem Unterstand mit Stühlen gebildet. Also heißt es aufpassen, dass die nassen Schuhe nicht komplett zu einem Teich werden. Wir überstehen auch die Wartezeit in der nassen Kälte und machen uns mit unseren negativen Tests auf ins Hospiz.

Das Erste, was wir hören, als wir das Hospiz durch eine seitlich gelegene Tür betreten, überrascht uns sehr. Wir vernehmen ein lautes, schallendes und wahrhaftig fröhliches Lachen, das durch das ganze Gebäude hallt. Das ist die erste Überraschung bei unserem Besuch im Hospiz. Eigentlich haben wir eine eher bedrückte Atmosphäre erwartet, doch auch Herr Hinrichs, Leiter des Hospizes, und Herr Winkel, stellvertretender Leiter des Hospizes, die uns in einem freundlich eingerichteten Besprechungsraum empfangen, vermitteln eine aufgeschlossene Freundlichkeit. Aus unseren Überlegungen haben sich einige Fragen ergeben, die wir nun in einem Interview mit den erwähnten Herren gestellt haben.

Die erste Frage ergibt sich ziemlich schnell und war auch schnell beantwortet. In einem Hospiz werden die Bewohner „Gäste“ genannt. Zumindest in unserem „Hospiz am Wattenmeer“, so erklärt uns Herr Hinrichs, sei es so üblich. Das Thema wurde abgestimmt, in Westersteder Hospiz zum Beispiel werden die Gäste „Bewohner“ genannt. Hier spalten sich die Meinungen und laut dem Hospizleiter ist das immer etwas anders. Außerdem ist es Herrn Hinrichs wichtig, uns darauf hinzuweisen, dass die Angehörigen hier „Zugehörige“ genannt werden, da sie ja zu dem Gast zugehören. Hiermit sind nicht nur enge Familie, sondern auch Freunde oder Partner gemeint. Sogar Haustiere dürfen die Gäste mitbringen, Hunde, Vögel, Katzen, da besteht eigentlich kein Problem. Das Einzige, das hier als Bedingung feststeht, ist, dass die Haustiere selbst versorgt werden müssen.

Als wir vorher über unsere Fragen nachdachten, hatten wir uns außerdem gefragt, wie so ein klassisches Gästezimmer denn aussehen könnte. Wie im Krankenhaus vielleicht? Nachdem das Hospiz schon so freundlich auf uns gewirkt hat, kann sich das jetzt beim Besuch keiner mehr wirklich vorstellen.

Leider sind alle acht Zimmer momentan belegt, aber die beiden beschreiben uns, dass die Räume doch ganz gemütlich wirken. Es gibt nicht nur im ganzen Gebäude Internet, sondern auch in jedem Zimmer einen Fernseher, Außerdem eine Terrasse, holzverkleidete Möbel, Platz für Bilder und natürlich hat auch jeder ein eigenes Badezimmer.  

Und wenn einem dennoch das Zimmer zu klein wird? Wenn man mal kurz raus will? Wie funktionieren denn Ausflüge oder kleine Spaziergänge? Auch hier freuen wir uns über die Antwort. Denn natürlich werden die Gäste damit nicht allein gelassen. Ausflüge nach Dangast oder kleine Spaziergänge sind immer in Ordnung, solange ein Pfleger mit dabei ist, schließlich muss man immer auf einen Notfall vorbereitet sein. Eine weitere unserer Fragen ist, wann denn die Zugehörigen überhaupt kommen dürfen. Wir fragten uns, ob es feste Besucherzeiten gibt. Freundlich wird uns erklärt, dass Zugehörige immer kommen können. Sie haben sogar extra ein Zugehörigenzimmer, in dem diese dann übernachten können, allerdings ist es meistens eher erwünscht, mit dem Gast in einem Zimmer zu schlafen, hier besteht natürlich immer die Möglichkeit eines Aufklappbettes. 

In so einem Hospiz arbeiten natürlich auch immer eine Menge Leute, die dort in unterschiedlichen Bereichen unterschiedliche Aufgaben haben. Und zu unserer Überraschung stellt sich heraus, dass so ein Hospiz eine Menge Arbeit benötigt, mehr als wir erwartet hätten. Zum einen gibt es die Alten- und Krankenpflege, die sich um die Gäste kümmert. Hausmeister und Hauswirtschaftskraft kümmern sich um die ,,Erhaltung des Hospizes“ und die Verwaltungskraft um die Verwaltung. Dann gibt es noch die Sozialarbeit und das Leitungsteam. Das Leitungsteam kommt aus der Kranken- und Altenpflege, erklärt uns Herr Hinrichs geduldig, und habe eine gewisse Zusatzqualifikation. Ein großer Teil der Mitarbeiter besteht aus Ehrenamtlichen. Aktuell, so der Leiter, seien es um die 20 ehrenamtlich Tätige, zuallererst würden sie in einem Kurs ausgebildet, um ,,fähig zur Sterbebegleitung zu sein“. Die Ehrenamtlichen bringen eine Art Alltag in das Hospiz, sie lesen den Gästen vor, gehen mit ihnen spazieren oder kochen zusammen. Dann wird uns erklärt, dass nach dem Drei-Schicht-System gearbeitet wird, es also Frühdienst, Spätdienst und Nachtdienst gibt. Dies findet immer zu zweit statt. Manchmal gab in den letzten Jahren auch Pflegeschüler.

Jeder weiß, dass in einem Hospiz Leute sterben, aber wie gehen die Pfleger eigentlich damit um?  Wir hören, dass Tränen dazugehören und helfen, die Trauer auszuleben, um den Tod zu verarbeiten. Also ja, PflegerInnen trauern, aber die meisten kommen mit dem Thema Tod gut zurecht, obwohl dieses Thema für viele Menschen so ein schwieriges Thema ist und sich viele unsicher in Sachen Tod fühlen. Aber natürlich hat das Hospiz auch ein paar Rituale, die im Falle eines Todes abgehalten werden. Zum einen wird ein bestimmtes Buch auf den sogenannten Traueraltar gelegt – wobei Traueraltar vielleicht nicht die richtige Umschreibung ist, es ist eher ein kleiner Altar mit ein paar Dekoelementen, einer Kerze, die im Falle eines Todes angezündet wird. Der Altar ist liebevoll und auch ein wenig freundlich gestaltet und nicht so traurig und dunkel, wie man es bei einem Traueraltar vielleicht denken würde. Auf diesen Altar wird dieses Buch gelegt, auf dessen offene Seite der Name der verstorbenen Person aufgeschrieben wurde. So kann jeder, der will, auch noch ein wenig um den Verstorbenen trauern. Vielleicht fragst du dich jetzt, ob im Notfall medizinische Ausrüstung verwendet wird, um ein Leben zu verlängern. Wir haben das zumindest getan, wurden aber beruhigt. Die Gäste dürften so etwas selbst entscheiden, so Herr Hinrichs. Das komme aber immer auf die Situation, den Gast und die Ernährung des jeweiligen Gastes an. Medikamente werden in so einem Fall vor allem zur Schmerzlinderung verwendet, im Notfall auch Morphium, hier gelte die Regel: je weniger, desto besser. 

Stell dir vor, es ist kurz vor Weihnachten, aber bei einem Gast steht schon fest, dass er oder sie bis dahin nicht mehr leben wird. Wir wollten wissen, ob es in so einem Fall etwas wie ein „Vorfeiern“, auf den Wunsch des Gastes hin, gibt. Die beiden Leiter erzählen uns von einem Vorfall, in dem klar war, dass die Mutter die Einschulung ihres Kindes nicht mehr miterleben wird. Das Hospiz half ihr dann dabei, die Schultüte vorher zu packen, und ein Video für ihr Kind zu machen. Also: Ja, natürlich kann es eine Vorfeier auf den Wunsch des Gastes geben. 

Auch ein ganz aktuelles Thema hat uns beschäftigt, in den Medien geht es immer wieder um die Legalisierung von Cannabis. Da entsteht natürlich die Überlegung, wie das Hospiz mit so etwas umgeht. Darf also Cannabis eingesetzt werden? Zum Beispiel zur Entspannung des jeweiligen Gastes oder zur Schmerzlinderung? Im Prinzip ist es okay, es muss nur von einer Apotheke beantragt und von einem Arzt begleitet werden. 

Zum Schluss fragten wir noch, wie lange man auf einen Platz im Hospiz am Wattenmeer eigentlich warten muss und wie der Aufenthalt dort eigentlich bezahlt wird. Um in einem Hospiz aufgenommen zu werden, braucht man bestimmte Voraussetzungen, erzählt uns der Leiter. Hier gibt es vier Bereiche. Die Erste ist die onkologische Erkrankung, diese muss immer in Verbindung zur Lebensverkürzung stehen. Dann gibt es noch die neurologische Erkrankung, weshalb man ins Hospiz eingeliefert werden könnte, damit sind fortgeschrittene Lähmungen oder z. B. eine ALS-Erkrankung gemeint, es kann aber auch ein Schlaganfall sein. Mit einer Herzkreislauf-Erkrankung ist so etwas wie Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz oder eine Lungenerkrankung gemeint. 

Vielleicht hast du ja schon mal von deinen Großeltern mitgekriegt, dass sie Probleme mit dem Herz oder der Niere hatten oder haben? Der Unterschied zwischen den Hospiz-Gästen und deinen Großeltern ist, dass die Gäste schon eine weit fortgeschrittene Krankheit haben, die nicht mehr geheilt werden kann.

Der vierte mögliche Grund für einen Hospizaufenthalt ist das Vollbild der Erkrankung Aids. Natürlich braucht auch ein Hospiz eine Einkommensquelle. Wir erfahren bei unserem Besuch, dass der Aufenthalt jedes Gastes zu 95% von den Kranken- und Pflegekassen bezahlt werden. Die restlichen fünf Prozent sind Spenden.

Bereits im Verlaufe des Gesprächs werden wir von Herrn Hinrichs auf eine Haus-Tour eingeladen, um eine bessere Vorstellung über den Alltag im Hospiz zu erlangen. 

Vom Versammlungsraum geht es für die Kaktus-Redaktion zunächst durch einen Flur, vorbei an einer kleinen bereitgestellten Bücherei für Gäste, bis hin zum Empfangs-Foyer. Unser erster Stopp liegt bei einem der wichtigsten Rituale des Hospizes, dem ,,Gästebuch“, in dem jeder Verstorbene eine Seite bekommt, um verewigt zu werden. Am entsprechenden Tag liegt diese Seite aufgeschlagen in Kombination mit einer brennenden Kerze zum Gedenken auf einem kleinen frei zugänglichen Tisch. Zugehörige des Verstorbenen wird die Möglichkeit gegeben, die Kerze auch selbst auszupusten, was einem das Gefühl des Loslassens erleichtern soll. Sollte es zu dem Fall kommen, dass mehrere Gäste im Laufe eines Tages versterben sollten, wird dafür gesorgt, dass mehrere aufgerollte Buchseiten sowie Kerzen bereitstehen. Niemand wird ausgelassen, alle werden gleichbehandelt. 

Ist das selbstgestaltete blaue Gästebuch des Hospizes einmal voll, wird es in ein Regal im farbenfrohen Gemeinschaftsraum mit Nordsee-Akzent verstaut und ein Neues wird auf dem Tisch bereitgestellt.

Später auf unserer Rundführung zeigen uns Herr Hinrichs und Herr Winkel außerdem einen speziell angefertigten Holzaufsteller mit einem kleinen Segelboot versehen sowie einer weiteren Kerze, welche vor die Zimmertür der Verstorbenen gestellt wird. Diese Geste hat zwar letztlich den selben Hintergrundgedanken, nur wirkt sie familiärer. 

Obwohl es kein leichtes Gesprächsthema ist, wird uns anhand dieser Rituale erneut bewusst, dass der Tod einen Teil des Lebens einnimmt und natürlich ist. Gleichzeitig beweisen sie, dass man trauern darf und Trauer auch essentiell notwendig ist, um mit dem Verlust eines Vertrauten zurechtkommen zu können. 

Beim weiteren Zeigen der Räumlichkeiten, wie dem Lager oder einem großen, gemütlich eingerichteten Badezimmer mit zusätzlichem Massagesessel durchkreuzen wir ein Foyer mit einem prachtvollen Flügel. Dabei erklärt man uns, dass mehrmals im Monat eine Musikerin das Hospiz besuchen würde, um ein kleines Konzert zu veranstalten, bei dem sich Gäste auch Stücke wünschen dürfen. 

Passend dazu steht daneben ein ,,Wunschbaum“, an dem Anliegen in Papierform gehängt werden können, die sich hauptsächlich aus Gutscheinen zusammensetzen. 

Als nächstes folgt das von Sonnenschein hell erleuchtete, großräumige Esszimmer, in dem sich hinten eine minimalistische Küche mit Arbeitsplatten befindet, was den großen Esstisch umso mehr zum Vorschein bringt. 

Dieser ermöglicht ein weiteres Ritual des Hospizes am Wattenmeer, nämlich das gemeinsame Essen mit Personal, Gästen und Zugehörigen, welches die familiäre und vertraute Atmosphäre noch deutlicher betont. 

Unsere nächste Station der einzigartigen Rundführung liegt im wunderschönen Garten der Pflegeeinrichtung, der begleitet von einem Grillplatz und vielen individuellen Terrassen der Gästezimmer auch einen vielfältigen Kräutergarten bereitstellt. Trotz des zuvor herrschenden Aprilwetters samt Regen, Hagel und Schnee (und das im Februar wohl gemerkt), erzeugt der Anblick des Gartens einen angenehmen und harmonischen Ton und bietet das perfekte Finish für eine gelungene Rundführung. 

Wieder im Besprechungsraum angelangt, bedanken wir uns herzlich für das ausführliche und prägende Gespräch sowie die Führung und ziehen, dieses Mal ohne strömenden Regen, wieder zurück zum Schulgebäude. Ein bereichernder Tag geht für die Kaktus-Redaktion zu Ende.

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