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Ausgabe 55 SCHULE

Die Letzten ihrer Art

„Ob die Runde Yu-Gi-Oh Teil eurer Matheaufgaben ist, hab ich gefragt!“ Leider konnten wir das Kartenspiel nicht schnell genug einpacken, ehe der Lehrer wiederkam. Doch wer soll diese Aufgaben verstehen? Wie, wenn die Lehrerin seit den ersten Wochen nach den Ferien fehlt? Fragen kann man auch niemanden.

Der „Lehrer“ (eher: der Betreuer) der uns und parallel zwei andere Klassen „unterrichtet“ (eher: versucht zu bändigen) hat Deutsch und Englisch als Fächer. Außerdem war ich noch nie so talentiert, was Algebra angeht…
Vor allem in den MINT-Fächern (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), aber auch anderswo fehlen in Deutschland Lehrer. Der Deutsche Lehrerverband geht von 30.000 bis 40.000 unbesetzten Stellen zu Beginn des Schuljahres 2022/23 aus. Niedersachsen steht noch relativ gut da: Jede fünfte Stelle war hier zum Schulbeginn unbesetzt. Wie allzu oft sind die Bundesländer, die weiter im Osten liegen, stärker betroffen. In Berlin waren bereits im letzten Jahr 60% aller neuen Lehrkräfte Quereinsteiger, zu Beginn dieses Jahres war jede dritte Stelle unbesetzt. In Niedersachsen lag die Quereinsteigerquote der Neueinstellungen dieses Jahr bei gerade einmal 7%. Insgesamt sei eine Verschlechterung der Situation gegenüber den Vorjahren zu vermerken. All diese Daten stammen aus einer Abfrage des Deutschen Schulportals.

„Mehr Geburten und hohe Pensionierungsraten sind etwas, was Schulleitern schon seit einigen Jahren Kopfschmerzen bereitet.“


Letzteres hängt mit dem Lehrerzuwachs der 1960er und -70er Jahre zusammen, welche nun seit einigen Jahren aus der Arbeitswelt treten. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine brachte üvber 200.000 ukrainische Schülerinnen und Schüler nach Deutschland, welche die Situation zusätzlich verschärften. So steigt natürlich die Nachfrage nach Lehrkräften – warum also nimmt die Zahl der Lehramtsabsolventen ab?
Geht einmal in euch: Könnt ihr euch vorstellen, Lehrerin oder Lehrer zu werden? Wahrscheinlich war eure Antwort ein Nein, denn der Beruf wird immer unbeliebter. Junge Menschen verzichten oft auf die Stabilität, die das Lehrerdasein mit sich bringt. Zugunsten von Dingen wie Aufstiegschancen oder Flexibilität in Arbeitsort und Zeiteinteilung entscheiden sich viele für ambitioniertere Laufbahnen. Einen Grund finde ich noch interessanter: Der Ruf des Lehrers hat sich auf eine Art gewandelt, die Probleme mit sich bringt.
Damit ist nicht gemeint, dass wir alle wieder Schüler schlagen und in Ecken setzen sollten. Lehrer waren bis bis weit in das 20. Jahrhundert vor allem Autoritätspersonen. Heute dienen sie eher als Lernhelfer, als Ansprechpartner auf Augenhöhe, bei dem Respekt auf Gegenseitigkeit beruht und nicht nur dem Lehrer gebührt – so die Theorie. Doch welches Lehrerbild hat sich wirklich in den letzten 30 Jahren geformt? Eltern beschweren sich über zu schlecht benotete Kinder, schenken Lehrern nicht mehr das Vertrauen, die Schüler richtig einzuschätzen. Es liegt nie am Nachwuchs, immer an der Lehrkraft. Unter Schülern waren Lehrer wahrscheinlich noch nie so richtig beliebt. In Hinblick auf bis in die 1980er verwendete Methoden ist das sicherlich verständlich. Und heute? Obwohl kaum einem Beruf so viel Aufwand und Bedeutsamkeit zukommt, ist er gleichzeitig einer der am wenigsten wertgeschätzten. Körperliche Gewalt und Beleidigungen gegen Lehrer nehmen zu. Ich erinnere mich noch, eine generelle Abneigung gegenüber Lehrern zu empfinden. Schule war nicht immer etwas, was ich gerne tat. Das Frustablassen gelang an Lehrern am einfachsten. Sobald der Unterricht vorüber war, wurde über sie losgezogen, dabei wird es schnell persönlich. Auch in höheren Jahrgängen bleibt das keine Seltenheit. Anfangs sollte das hier ein Artikel sein, der zusätzlich einige Makel von Lehrern hervorhebt (der alte Titel war übrigens „Lehrermangel und Lehrermängel“). In der Kaktus-Redaktion wurden in dieser Hinsicht Erfahrungen geteilt, die erschrecken können. Es gibt Lehrer, die ihre Arbeit nicht gut machen: Langweiliger Unterricht, unfaire Benotung, Bevorzugung mancher Schüler, ja, auch das Werfen mit Kreide. Doch nicht immer liegt das an einer Grundeinstellung, auch Lehrer haben schlechte Tage. Ein Großteil der Lehrer übt ihre Pflicht in einem Maße aus, welches ihrer Wichtigkeit gerecht wird. Leider müssen vor allem diese mit Burnouts rechnen, welche nicht untypisch für den Lehrerberuf sind. Wir können für uns alle das Schulleben leichter machen, wenn wir diese Mühe mehr anerkennen. Lehrerverbände haben viele Forderungen, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Das Erweisen von Achtung und Respekt ist eine, die wir alle verwirklichen können.

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