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Ausgabe 55

Lichterloher Himmel zur Jahreswende

Im letzten Jahr, 2022 im Übergang zu 2023, war ich dabei, als der Himmel lichterloh war, Rettungskräfte mit Böllern abgeworfen wurden und Polizisten in die Masse stürmten.

Ich war mit einem Freund über Silvester im Urlaub in Berlin. Zum frühen Abend hin am 31. Dezember 2022 packten wir uns Getränke ein und machten uns auf dem Weg zum Brandenburger Tor. Wir hatten geplant, dort einen weiteren Freund zu treffen. Dass die Veranstaltung beim Brandenburger Tor abgegrenzt war, war 2022 neu. Wir hatten das vorher nicht gewusst, doch hatten wir keinen besseren Plan, also hofften wir, das Feuerwerk vom Platz davor zu sehen. Während der ganzen Fahrt mit der S-Bahn und auch schon die Tage vorher hörte man das konstante Knallen. Meistens waren es verschiedene China-Böller, gezündet von Jugendlichen.

Abends angekommen auf der Straße “Unter den Linden”, liefen wir in Richtung Brandenburger Tor. Es waren schon viele Personen da, doch noch standen die Personen noch nicht eng aneinandergedrängt. Böller wurden auch hier einzeln gezündet, oft noch mit Abstand zu anderen Personen. Dies sollte leider nicht so bleiben.

Die Polizei war sehr präsent und bei der ungarischen Botschaft begann die Sperre für die Veranstaltung vor dem Tor. Dort trafen wir dann unseren Freund. 

Über den Abend hin wurde es immer voller, bis man irgendwann praktisch immer in physischem Kontakt mit anderen Personen war. Die Masse war zwar nicht homogen, doch tendenziell waren es größtenteils junge erwachsene Menschen, vor allem Männer. Das Böllern ging rege weiter. Noch bildeten sich in der Regel Kreise, in denen dann die Böller und auch Raketen gezündet wurden.

Eine Konstante seit unserem Eintreffen war der Transportwagen der Polizei, der die Menge dazu aufforderte, das Böllern sein zulassen und verkündete, die Veranstaltung am Brandenburger Tor sei ausverkauft, man könne also gehen.

Ab ca. neun Uhr wurde dann die Situation doch etwas angespannter. Personen nahe der Veranstaltung vor den Polizei-Barrieren zündeten sehr große Böller, wie auch schon zuvor. Wir haben es nicht direkt gemerkt, doch die Polizei schien nun ab und zu einzugreifen. Ein Trupp von Polizisten in Montur mit Helmen ging in die Menge, um die Personen festzunehmen. Personen kletterten auf Lampen in mehrere Meter Höhe. Lange machte die Polizei nichts. Später schickte sie einen Trupp los, um diese herunterzuholen. Dies taten sie und zogen ab. Sobald diese sich hinter die Barrieren zurückgezogen hatten, kletterten erneut Personen darauf. Ähnliches geschah mit einem Toilettendach. Hier hatte ich befürchtet, es würde die Last von 20 Personen nicht aushalten, doch irgendwie tat es dies. Währenddessen versuchten Trupps der Polizei, auch die Personen mit Böllern zum Stopp zu zwingen. Doch immer, wenn diese eine Person mitnahmen, machten zwei andere weiter. 

Während noch am Anfang Personen mit Abstand Feuerwerkskörper zündeten, passierte dies nun in der Mitte der Masse. Manche warteten ab und warfen Böller einfach zum Explodieren in den Himmel. Das war nicht immer erfolgreich. Manche schossen Raketen, festgehalten am Stil, mitten aus der Hand.

Ab und zu bildeten sich aber auch wieder freie Flächen, um die dann die Leute zum Böllern standen. Ich hatte mir vorgenommen, möglichst viel zu dokumentieren, stand also auch genau dort. Die Polizei kam wieder, um einzugreifen. Diesmal jedoch kamen sie in den Kreis und rammten dann in alle Umstehenden, wahrscheinlich, um Platz zu machen. Aber auch in mich. Ich stolperte zurück, kaum mich auf den Füßen haltend, beinahe auf den Flaschen am Boden ausrutschend. Manche wurden in mich gedrängt und ich in wiederum andere. Als ich mich gefasst hatte, hatte die Polizei mal wieder eine Person am Boden, standen um diese herum, drückten sie nieder und führten sie dann ab. Ob diese Aktion geschützt hat oder eher gefährdet hat, ich weiß es nicht. 

Danach ging das Böllern jedoch freudig weiter. Die Polizei griff noch ein paarmal ein, gab jedoch gegen 11 Uhr dann scheinbar auf. Der Transportwagen machte weiter die gleichen Aussagen über das Megaphon, dass man doch bitte das Böllern lassen sollte, doch niemanden schien das zu interessieren. 

Einmal bildete sich dann doch wieder ein Kreis, in dem geböllert wurde. Ich stellte mich an den Rand. Eine Person steckte eine Rakete in eine Flasche, um diese zu zünden. Gerade als diese gezündet wurde, kam plötzlich eine andere und kickte die Flasche um. Sie war auf mich gerichtet. Zum Glück nahm ich mein Bein hoch, denn einen Moment später flog sie darunter durch und explodierte auf einer etwas freieren Fläche, weil die Masse schnell genug ausgewichen war. Für mich war das ein ziemlicher Schock, glücklicherweise wurde niemand verletzt.

Ab halb zwölf war der Himmel dann erleuchtet. Es gingen dauernd Raketen in die Luft und verbreiteten ihr Licht über Berlin. Um Mitternacht war es dann taghell.

Insgesamt war dieses Erlebnis sehr interessant und eröffnet natürlich die Frage, ob auch das nächste Silvester so laufen darf und wird.

Franziska Giffey, zum damaligen Zeitpunkt noch die regierende Bürgermeisterin der Stadt Berlin, hat am 11. Januar 2023 einen Gipfel gegen Jugendgewalt einberufen und danach eine Pressekonferenz abgehalten. Hier hat sie angekündigt, diesen Gipfel öfter halten zu wollen, mehr Jugendhilfe in Berlin zu planen, jedoch auch die derzeitigen Gesetze stärker durchsetzen zu wollen. Für das, was ich am Brandenburger Tor erlebt habe, müsste das bedeuten, dass die Polizei noch stärker durchgreifen wird. 

Die Frage ist, reicht das? Ich hatte dort vor dem Brandenburger Tor nicht viel Gewalt gegenüber Einsatzkräften erlebt. Das Maximale, das passierte, war, dass manche Personen sich hinten auf einen Rettungswagen gestellt haben, der sich mit Schrittgeschwindigkeit bewegt und dann nach ein paar Metern absprangen. Doch an anderen Orten Berlins passierte deutlich mehr. So wurde ein Rettungswagen von einer Person durch das Werfen eines Feuerlöschers angegriffen. Am Vorabend zu Silvester gab es in Berlin Schöneberg eine regelrechte Schlacht mit Böllern und Raketen, an der ca. 150 Personen teilnahmen. Insgesamt wurden in der Silvesternacht in Berlin laut Angaben der Polizei 62 Einsatzkräfte verletzt. 

Nun ergibt sich die Frage, sollte man vielleicht das Böllern verbieten? Oder sollte man nur die Böllerverbotszonen ausweiten? Man muss dazu sagen, dass zum Beispiel die Straßenschlacht in Schöneberg eigentlich auch in so einer Zone passierte. Und das Problem ist keines, das nur Berlin hat. Auch in anderen großen Städten kam es zu Ausschreitungen, wie zum Beispiel in Hamburg. 

Man könnte natürlich noch weiter auf Prävention setzten, trotzdem mehr Böllerverbotszonen einrichten und die Polizei stärker durchgreifen lassen. Doch all solche Maßnahmen würden wahrscheinlich das Problem nur mindern. Den Missbrauch von Feuerwerkskörpern könnte man, solange der private Erwerb und der Besitz dieser erlaubt ist, nicht komplett verhindern. 

Vielleicht muss man also ein Verkaufsverbot von Böllern in Erwägung ziehen. Nur dieses würde einen Missbrauch in diesem Maße ausschließen. Doch es würde auch nach sich ziehen, dass viele Personen, die allermeisten in diesem Land, die friedlich sind, auf ihre eigene Sicherheit und die der anderen achten, nicht mehr böllern können. Sollte die Freude am Böllern die potenzielle Eskalation wert sein? 

Natürlich könnten die Städte zum Beispiel als eine Alternativlösung Feuerwerke organisieren. Das würde jedenfalls auch den Schaden an der Umwelt und den Tieren begrenzen. Denn selbst bei dem freien Böllern, wenn keine Eskalation stattfindet, ist Silvester keine gute Zeit für unsere tierischen Mitbewohner. Und auch wenn es größere Umweltbelastungen gibt, wie etwa Wegwerf-E-Zigaretten, ist die Umweltbelastung relativ hoch. Neben dem Feinstaub, der dem Menschen bedingt stark schadet, wird auch sehr viel Abfall produziert, der nur allzu häufig in der Natur landet.

Es ist also nicht einfach, eine klare Entscheidung zu treffen. Vielleicht kann man einen Kompromiss treffen. Oder uns ist dann doch der Status quo gut genug. Jedenfalls wäre es angebracht von uns als Gesellschaft, uns wenigstens mit diesem Problem zu beschäftigen und wenn wir denken, dass es angebracht ist, auch etwas zu ändern. 

Für mich persönlich ist jedenfalls klar, dieses Silvester in Berlin war ein Erlebnis, eins, dass ich so davor noch nicht erlebt habe.

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