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Ausgabe 55 PANORAMA

Vorhang auf für die Rechtsprechung von Gestern

„Ein Gesetz, das gegen die Verfassung verstößt, ist kein Gesetz.“ Das sagte einst der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, im Jahre 1803. Die Gesetze sollen laut diesem Zitat in den Gerichten durch die amerikanische Verfassung überprüft werden, es obliegt allein den Gerichten zu sagen, was Recht ist.

Doch auch beim Obersten Gerichtshof stellt sich einem doch schnell die Frage, ob dort alles mit rechten Dingen geschieht. Vor allem, nachdem der Supreme Court ein Grundsatzurteil kippte, das Abtreibungen bis zur 24. Woche der Schwangerschaft erlaubte, fragt man sich doch eigentlich immer mehr: Was ist bloß mit der Rechtsprechung der USA los und warum billigt selbst der Oberste Gerichtshof, welcher doch eigentlich die Gerechtigkeit im Land bewahren und widerspiegeln sollte, solche altertümlichen Gesetze?

Zuerst einmal muss dazu kurz die Rolle des Obersten Gerichtshofes innerhalb des Rechtesystems der USA herausgehoben werden: Jeder Bezirk in den Vereinigten Staaten hat ein zuständiges Bezirksgericht, welches laut der amerikanischen Verfassung dem Supreme Court untergeordnet ist (Artikel 3 der Verfassung). Diese Bundesgerichte und alle anderen Gerichte außer dem Supreme Court können vom Kongress eingesetzt oder abgeschafft werden. Der Kongress kann im Falle des Supreme Court nur die Anzahl der Richtenden bestimmen und im äußersten Falle kann er durch eine Verfassungsänderung die dort festgelegte Zuständigkeit des Gerichtes abändern. Die derzeitige Anzahl der Richtenden beträgt neun, wie im größten Teil der Geschichte des Gerichtshofes seit der Gründung vor 200 Jahren. Ein*e Richtende*r hat den Vorsitz im Gerichtshof, die anderen acht fungieren als Bundesrichtende. Die Richtenden werden vom derzeitigen Präsidenten ernannt, ohne eine Qualifikation vorweisen zu müssen, und bleiben lebenslang im Amt, außer sie werden aufgrund von gesundheitlichen Problemen oder durch einen Beschluss des Senates abgesetzt. Die Hauptaufgabe des Gerichtes besteht darin, festzustellen, ob ein Gesetz oder eine Maßnahme, die die Regierung durchsetzen möchte, der Verfassung entspricht, wobei die schlussendliche Entscheidung nicht einstimmig getroffen werden muss. Um einen Beschluss zu erlangen, muss es nur eine einfache Mehrheit geben, es müssen also sechs Richtende zustimmen. Die Entscheidung, die am Ende bekanntgegeben wird, kann von niemandem angefochten werden.

Durch die lebenslange Amtszeit der Richtenden sitzen ausschließlich ältere Personen im Supreme Court, der Altersdurchschnitt liegt derzeit bei 62 Jahren. Die jüngste Richterin ist 50 Jahre alt und der Älteste unter den Richtenden ist sogar 74 Jahre alt und sitzt, seitdem er 1991 von George W. Bush, dem derzeitigen amerikanischen Präsidenten, ernannt wurde, im Obersten Gerichtshof. Mit ihm sind immer noch zwei weitere Richter, die von George W. Bush ernannt wurden, im Amt. Von dem danach folgenden Präsidenten, Barack Obama, wurden zwei Richterinnen ernannt und von seinem Nachfolger, Donald Trump, zwei Richter und eine Richterin. Vom derzeitigen Präsidenten, Joe Biden, konnte bis jetzt nur eine Richterin ernannt werden, die allerdings die erste schwarze Frau ist, die im Supreme Court ihr Amt ausübt. 

Dieses Gericht, das über landesweite Gesetze bestimmt, ist mittlerweile eher eine Bühne für alte Ideale und Überzeugungen als ein Gericht. Dies liegt daran, dass sich die Parteien und der Präsident die lebenslange Amtszeit der Richtenden gerne zunutze machen. Wenn ein Richtender stirbt oder zurücktritt, besetzt der aktuelle Präsident dieses Amt mit einem anderen Richtenden, der sich für ihre Überzeugungen einsetzt und ihre Idealen teilt.  Dadurch konnten sich die Regierungen und Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte Macht innerhalb der künftigen Gesetzgebung sichern. Selbst wenn der Präsident nicht wiedergewählt wird oder die andere Partei die nächste Wahl gewinnt, können sie immer noch Macht durch ihre ernannten Richtenden ausüben und so an Gesetzen mitbestimmen, da die Richtenden, die sie ernannt haben, ihre Überzeugungen im Gerichtshof verteidigen und diese mithilfe ihrer „juristischen Fähigkeiten“ untermauern können. Diese Richtenden mit z.B. konservativen Überzeugungen können nicht einfach so von der neuen Regierung bzw. vom neuen Präsidenten entlassen oder ersetzt werden.  So vertreten die Richtenden ihre Ideale bis zum Tode und verleihen den vergangenen Präsidenten und ihren Parteien bis dahin eine große Macht.

Bei der derzeitigen Besetzung der Ämter spielt der Präsident, der die Richtenden ernannt hat, eine große Rolle. Die Richtenden, die von den Republikaner George W. Bush und Donald Trump ernannt wurden, sind insgesamt sechs. Die Richtenden, die von den Demokraten Barack Obama und Joe Biden ernannt wurden, sind insgesamt nur drei, obwohl die Demokraten den derzeitigen Präsidenten stellen und die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben. Die Republikaner können also momentan bei jedem Beschluss, der im Obersten Gerichtshof beschlossen wird, eine einfache Mehrheit erreichen und somit über das wichtigste Gericht der USA so gut wie allein über die Zulassung der Gesetze bestimmen, obwohl sie nicht mal die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben. An diesem Beispiel ist gut zu erkennen, welche Auswirkungen die aufgestellten Richtenden auf die Gesetzgebung haben. Das wichtigste Gericht der USA, das die Mitte und die Bühne der Gerechtigkeit sein sollte, ist zu einer Bühne der Demokraten und Republikaner geworden. Eine Bühne alter Ideale, die sich in Form von Gesetzen auf die heutige Gesellschaft massiv auswirken. Diese „alte Bühne“ alleine spricht aus, was Recht ist. Diese „alte Bühne“, die an die Politik von heute, aber vor allem an die Politik von gestern gebunden ist, wobei so etwas herauskommt wie das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen oder das Recht, Kinder zu schlagen.

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