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Ausgabe 55 PANORAMA

So teuer ist Lernen?

Hier bricht Putz von der Wand, dort sind Löcher in den Tischen und da tropft Wasser von der Decke.

Bekannte und alltägliche Missstände an deutschen Schulen – ohne überhaupt die Digitalisierung an Schulen zu erwähnen. Dabei entsprechen die Ausgaben für Bildung pro Jahr etwa 4-5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Deutschland. Auch wenn die Ausgaben jährlich steigen, gibt Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern weniger Geld aus. So gaben Länder wie Schweden, Island, Finnland und Norwegen 2015 rund 7% ihres BIPs für Bildung aus.
Diese Missstände entstehen unter anderem dadurch, dass immer mehr Schüler Abitur machen – also länger zur Schule gehen – aber auch durch Angebote wie Ganztagsbetreuung, die immer mehr in Anspruch genommen werden – es wird also immer mehr Geld benötigt. Außerdem leiden Schulen unter Personalmangel, wodurch die Klassen immer größer werden, die Lehrer können sich schlechter auf jeden einzelnen Schüler konzentrieren. Dadurch leiden nicht nur Schüler, auch die Lehrer haben mehr zu tun.
Wenn die Klassen zu groß sind, können sich die Lehrer schlechter um die einzelnen Schüler kümmern und auf deren Probleme eingehen. Wenn dann Schüler hinterherhängen, müssen diese selbst sehen, wie sie zu ihrem Recht kommen – was oft in Nachhilfe für die Schüler endet. Das müssen die Eltern natürlich selbst bezahlen.
Die Coronapandemie und die Home-Schooling Zeit haben noch mehr dazu beigetragen, dass Schüler mit dem Stoff hinterherhängen und Lernstoff aufgearbeitet werden muss.
Aber nicht nur der Staat gibt viel Geld für Bildung aus. So geben Eltern deutschlandweit im Durchschnitt von der 1. bis 12. Klasse (G8) 20.700€ aus. Darunter fallen Schulbücher und Arbeitsmaterialien, aber auch Reisen wie Tagesausflüge oder Klassenfahrten. Im Durchschnitt zahlt Niedersachsen mit etwa 27.300€ am meisten. Am Günstigsten ist Mecklenburg-Vorpommern mit knapp 15.000€. Am teuersten dabei ist übrigens der Hort bzw. die Nachmittagsbetreuung, die jedoch auch je nach Bundesland preislich sehr schwankt. Auch Ausgaben wie Bücher schwanken stark von Bundesland zu Bundesland. In einigen Bundesländern kann man diese nämlich ausleihen, in anderen muss man diese jedoch selber kaufen. Je nachdem, wo man also wohnt, zahlt man einige tausend Euro weniger.
Insgesamt gibt der Staat daher zu wenig aus für Bildung, Eltern dafür sehr viel. Wie so oft muss also letztlich das Individuum das Versagen hier tragen.

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Ausgabe 55 SCHULE

Was sind faire Noten?

Mündliche Noten werden von vielen Schülern und Schülerinnen nicht gemocht, doch ich denke, sie sind die beste Methode, die wir haben.

PRO:

Zuerst sind sie eine Durchschnittsnote. Wenn Lehrkräfte ihre Arbeit ordentlich machen und die meisten Stunden benoten, dann kommt am Ende eine Note heraus, die ziemlich gut die durchschnittliche Leistung repräsentiert. Eine schriftliche Arbeit hingegen zeigt nur eine Momentaufnahme. Sie lässt keine Möglichkeit, sich noch einmal im gleichen Thema oder im Sinne eines schlechten Tages zu verbessern. Schriftliche Arbeiten sind generell eine sehr schlechte Methode, Leistung festzustellen, das Lernen zu fördern oder objektive Ergebnisse zu bekommen.
Sobald mehr als angekreuzt werden muss, wird die Beurteilung immer subjektiver, je mehr die Aufgaben auch Meinung einfordern. Zwischen Lehrkräften sieht man schnell einen starken Unterschied, darauf bezogen, was diese für den wichtigeren Part erachten. Und im Mündlichen kann man sich gut darauf einstellen In einem Fach, in dem man pro Halbjahr nur eine Arbeit schreibt, ist es aber schwer, dies nochmal anders zu machen.
Letztlich sind alle Noten zu einem gewissen Grad subjektiv. Doch bei mündlichen Noten kann man sich auch mit der Lehrkraft austauschen, falls eine Person Probleme hat und in Zukunft mehr oder anders auf die Person zu achten. Wenn eine Arbeit geschrieben ist, kann man diese aber schlecht noch einmal bewerten lassen.
Und das Problem mit schüchternen Personen geht, denke ich, über nur Mündliches hinaus. Wie viele dieser Personen, die sich nicht trauen sich zu beteiligen, würden dies vielleicht machen, wäre die Klasse kleiner, es ein Kreis guter Bekannter und man würde die Lehrkraft mögen. Denn oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass, sobald die Lehrkraft wechselt, viele Personen sich anders beteiligen, oft aus Abneigung oder Zuneigung zur Lehrkraft. Auch ist mir aufgefallen, dass Personen, wenn ich mit ihnen im Jahr danach im gleichen Kurs war, wir aber von anderen Leuten umgeben waren, sie, wenn sie diese Personen mochten, sich oft deutlich mehr gemeldet haben, weil die Angst vor Blamage fehlte.
Deswegen denke ich, wären Klassen angenehmere Orte für Personen, die sich nicht so aus sich heraus trauen, wäre schon viel geschafft.
Ich würde also sagen, selbst wenn die mündliche Note nicht perfekt ist, sie dennoch eine Methode ist, Leistung und Verständnis für ein Thema einzelner Personen zu beziffern. Dennoch wäre es vielleicht einen Gedanken wert, nicht nur über mündliche oder schriftliche Noten nachzudenken, sondern vielleicht auch generell das Modell, dass alles bewertet werden muss, mit einer einzelnen Zahl, die teilweise über die Zukunft einer Person herrscht, zu hinterfragen.

Kontra:


Mündliche Noten, für die einen ein Segen, für die anderen ein wortwörtlicher Fluch: Über kein Interesse am Thema, bis hin zur Bloßstellung.
Der tägliche Wahnsinn der Schüler und Schülerinnen.
Doch warum sind sie so verhasst?
Ein wohl gut begründeter Punkt ist, dass auch Schülerinnen einen schlechten Tag haben können. Ein vielleicht privater Konflikt ist aufgetreten und sie sind schlecht gelaunt, traurig oder einfach nicht in der Lage, dem Unterricht zu folgen. Und Zack, schon steht die Fünf da. Bis man diese wieder ausgeglichen hat, dauert es einige Stunden, vor allem. wenn sich das nicht verstandene Thema über mehrere Stunden zieht. Besonders schlimm kann es für Schülerinnen werden, wenn die Lehrkraft „eben schnell“ die Noten vor der gesamten Klasse vorliest. Wenn ich ehrlich bin, stellt sich für mich dort die Frage: Warum? Genauso, wie andere Lehrkräfte den Raum verlassen und die Schülerinnen sich untereinander von starker Leistung bis eher schwache Leistung nebeneinander aufstellen sollen. Danach wird man mit den Worten „x/y ist besser, du musst weiter nach hinten“ oder „da ganz hinten stehst du schon richtig. Deine Leistung ist eine fünf.“ von A nach B geschoben. Für mich persönlich grenzt das an öffentliche Demütigung. Mit solch Aktionen steigert man nicht das Selbstwertgefühl der Schülerinnen, sondern verschlimmert es vielmehr.
Dazu kommt, dass viele Schülerinnen von den Lehrkräften spontan und ohne Vorwarnung drangenommen werden. Einige verharren dann aber so lange auf dem gerade bloßgestellten Schüler, dass dabei einige Minuten in peinlicher Stille verstreichen. Muss das sein? Es ist ja durch aus in Ordnung, wenn der oder die betroffenen Schülerin nicht aufgepasst und den Unterricht massiv gestört hat, doch hat er/sie das nicht und versucht einfach nur dem Unterricht zu folgen, finde ich, sind diese hinterhältigen Methoden mehr als nur kontra-produktiv.
Trotz allem:
Mündliche Noten sind wichtig und machen leider einen Großteil der eigenen Zukunft aus.
Also muss man da wohl oder übel durch. Doch auch wenn man das Thema absolut nicht versteht, kann man sich trotzdem beteiligen, zum Beispiel durch das Vorlesen von Texten,
Wiedergeben von schon bereits Gesagtem oder durch das sinnvolle Fragenstellen – auch wenn man die Antwort selbst eigentlich schon weiß.

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Ausgabe 55 SCHULE

Was Prüfungsangst ist und wie man damit umgeht

Kennst du das Gefühl von innerer Anspannung, Herzrasen, Schwindel oder Konzentrationsstörungen, sobald du in einer Prüfungssituation bist? Wenn ja, dann hast du wahrscheinlich Prüfungsangst. Damit bist du zum Glück nicht allein.

Etwa 15% der Jugendlichen leiden unter dieser Form von Angststörung. Wobei man hier die normale Prüfungsangst von der starken und teilweise behandlungsbedürftigen Prüfungsangst unterscheiden muss. Die normale Prüfungsangst äußert sich durch starke Aufregung, Unruhe oder schwitze Hände, während bei der starken Prüfungsangst Symptome wie Schweißbildung, starkes Zittern, Schwindelgefühl und z.B. Herzrasen bei Prüfungen auftreten können. Dabei steht hier die Angst vor der Bewertung und die Angst zu versagen im Vordergrund. Viele SchülerInnen berichten nach einer Prüfung von einem sogenannten „Blackout“. Ein Blackout zeigt sich durch z.B. Erinnerungslücken oder Aussetzer, was zu unnötigen Fehlern führt, die man unter normalen Umständen nicht gemacht hätte.

Aber woher kommt diese Prüfungsangst überhaupt?
Durch zunehmenden Druck entstehen Versagensängste und der Körper nimmt die Prüfungssituation als eine besondere Art von Bedrohung war. Umso mehr Angst du dir machst, desto größer werden auch die körperlichen und mentalen Probleme. Wie stark du diese Einschränkungen hast, ist bei jedem anders. Falls du auch dieses Problem hast und dich fragst, was du dagegen tun sollst, haben wir hier die acht besten Tipps, was du gegen Prüfungsangst tun kannst.

  1. Sich klarmachen, woher die Angst kommt.
  2. Auf die Prüfungssituation vorbereiten.
  3. Für stressfreies Lernen sorgen.
  4. Lernstrategie verändern/verbessern.
  5. Ruhig bleiben.
  6. Positiv bleiben.
  7. Prüfung simulieren.
  8. Notfallplan erstellen.

Das Wichtigste, was du machen solltest, ist, auf jeden Fall mit anderen Leuten darüber zu reden, beispielsweise mit Freunden oder deinen Eltern. Am besten sprichst du auch deine Lehrkräfte darauf an.  Es gibt immer jemanden, der dir helfen kann und eine Lösung weiß.

Jetzt wird es aber schwierig, wenn die Eltern die Kinder unter Druck setzen und beispielsweise meinen, dass von dieser Note für die komplette Zukunft des Kindes abhängt.

Du solltest dich anderen Menschen anvertrauen und dann wirst du sicher eine Lösung finden. Dein Leben hängt nicht von einer Note ab und wenn du dich genug vorbereitest, kannst du alles schaffen.

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Ausgabe 55 PANORAMA

Du hast so viel Talent!

Du hast so viel Talent! Du bist doch so talentiert! So viel Talent hätte ich auch gerne! Alle Kunstschaffenden kennen wahrscheinlich diese Ausdrücke, die man fast wie auf Kommando bei anderen Personen hervorrufen kann, wenn man doch nur ein gelungenes Bild zum Besten gibt.

Diese Aussagen sollen zwar wohlwollend klingen und Zustimmung ausdrücken, doch in der Welt der Farben und Formen ist die Frage nach dem berüchtigten „Talent“ stark kritisiert, denn nun mal ehrlich: Ist es so wahrscheinlich, dass man allein durch Talent Kunst erschaffen kann?  Kommt es beim Malen und Zeichnen nur auf das Talent an und ist Talent mit dem Begriff der Kunst überhaupt in Verbindung zu bringen?

Eigentlich bedeutet der Begriff des Talents, dass eine bestimmte Eigenschaft besonders ausgeprägt ist und sehr gut beherrscht wird. Doch wenn die übliche Aussage „Du bist so talentiert!“ ausgesprochen wird, wissen alle erfahrenen Kunstschaffenden, dass sich diese bewertende Aussage eigentlich auf die Qualität des Bildes bezieht und nicht auf die Kunst an sich. Meist erschaffen „talentierte“ Kunstschaffende nämlich im Allgemeinen Bilde möglichst naturgetreue und realistische Bilder, die mit natürlichen Proportionen und Farbgebungen übereinstimmen. Dabei wird dieses Wörtchen „Talent“ als einfache Erklärung für die gute Fähigkeit, Kunst zu erschaffen, benutzt. Es wird nicht berücksichtigt, ob die Malenden Anfänger oder Fortgeschrittene sind, das Maß an Übung und Erfahrung wird nicht beachtet. 

Doch, große Überraschung, hinter der Kunst steckt viel mehr als das einfache „Talent“: Vor allem geht es um Übung und Erfahrung. Bevor solche realistischen Zeichnungen entstehen können, muss das Auge geschult werden, die Zusammenhänge der Natur zu erfassen und diese in einfach zu zeichnende Formen einzuteilen. Diese Schulung des Auges ist die einzig mögliche Station auf dem Weg der Kunst, an der ein gewisses Talent zur Erfassung der Natur eine kleine Rolle spielt. Auch bei abstrakten Gemälden ist diese Übung und Erfahrung sehr wichtig, um die richtige Komposition der Farben und Formen zu finden. Um diese ganzen Erfahrungen zu sammeln, ist eine große Begeisterung für die Kunst und vielleicht auch etwas Durchhaltevermögen nötig, aber gewiss können diese individuellen Kunstgegenstände, die am Ende dieser Entwicklung stehen, nicht an dem Wort „Talent“ gemessen werden. Dieses Wort versucht, die Kunst anhand ihrer Qualität zu messen, doch in dem Reich der Farben und Formen, in dem alles seine eigene Individualität besitzt und man sich selbst in der eigenen Kunst wiederfindet und sich mit ihr entwickelt, kann eigentlich nichts an Wörtern wie Qualität oder Talent gemessen werden. Schlussendlich gibt es in der Kunst kein Richtig oder Falsch, kein großartiges Talent oder ein Maß anhand der Bilder. Es kommt darauf an, die eigene Sichtweise zu verdeutlichen, sich selbst und seine eigenen Werte zu verfestigen, die Gesellschaft widerzuspiegeln und vor allem die eigenen Gefühle, Interessen und Konflikte zum Ausdruck zu bringen. Und wenn schon, wenn die Kunst ganz und gar von Talent abhängig wäre, wozu sollte es ansonsten Kunstschulen und Kunstkurse geben, in denen jene Begeisterten und Erfahrenen lehren, Farben und Formen auf dem Papier tanzen zu lassen, wenn man doch nur Talent bräuchte?

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Ausgabe 55 TITELTHEMA

Jeder Mensch ist makellos

Zu dick, zu dünn, zu klein, zu groß, die Haare zu dunkel, zu rot oder zu blond, zu viele Sommersprossen, zu wenige Sommersprossen, zu viele Pickel, die Augenbrauen zu buschig oder zu dünn, die Haare zu glatt oder zu lockig—es gibt vieles, das einen stört.

Durch Aussehen kann auch Unsicherheit entstehen. Sehr unsichere Menschen sind häufig perfektionistisch veranlagt, empfinden viel Neid und sind häufig sehr selbstkritisch. Wer unsicher ist, der fühlt sich meistens nicht ausreichend oder gut genug. Dass dieses Gefühl manchmal auftritt, ist ganz normal. Wenn es aber anfängt, deine Alltag zu beeinflussen, solltet ihr etwas dagegen unternehmen. 

Um sicher zu werden, kann es sich lohnen, professionellere Hilfe in Anspruch zu nehmen, seine eigenen Gedanken zu hinterfragen und sich auch mal zu sagen, dass man nicht immer perfekt sein muss. Freunde und Familie können euch dabei sehr gut helfen.

Früher z.B. war das bei mir so, dass eine Gruppe von Leuten jeden Tag zu mir gekommen ist und mich wegen meiner Sommersprossen ausgelacht hat. Ich habe angefangen, meine Sommersprossen selber zu hassen und habe mit niemandem darüber gesprochen und das war mein Problem. Irgendwann habe ich mich getraut und mit meiner Familie darüber geredet und das hat mir sehr geholfen. Sie haben mir jeden Tag gesagt, dass die Sommersprossen süß oder schön sind. Nach einer Zeit konnte ich mich wieder mit meinen Sommersprossen anfreunden und jedes Mal, wenn die Leute dann zu mir gekommen sind, habe ich gesagt: Das ist mir egal, wie ihr meine Sommersprossen findet, ich finde sie toll. Trotzdem hat diese Zeit Spuren hinterlassen. 

Viele Schüler und Schülerinnen haben manchmal Angst,  vor die Tür zu gehen, da sie Angst haben, dass sie von anderen Schülern ausgelacht werden. Wen ich Lust auf blaue Haare hätte und sie mir blau färben würde und damit in die Schule gehen würde, würde ich von allen Leuten ausgelacht werden. Deshalb würde ich mir nicht die Haare färben, da ich Angst hätte, dass ich von anderen Leuten wegen meiner Haarfarbe geärgert werde.

Außerdem fühlen sich viele Mädchen, aber auch Jungs unter Druck gesetzt, da sie diese Idealwerte im Internet sehen und sich dann selbst sehen und sich hässlich fühlen. Aber ihr seid echt und diese Darstellungen im Internet sind es oft nicht, also meistens sind diese Leute operiert oder das sind nur Filter. 

Manchmal haben aber auch Leute mit einer anderen Hautfarbe Angst, vor die Tür zu gehen, weil sie Angst haben, das andere Leute dumme Bemerkungen machen.

Abschließend kann ich nur sagen; Jeder ist schön, so wie er ist. Denn würden alle dem Idealwert entsprechen, würden ja auch gleich aussehen und das wäre langweilig. Verrückt ist lustig. Geht so raus, wie ihr wollt, euch kann egal sein, was andere Leute sagen. Macht das, was ihr machen wollt und lasst euch nicht vorschreiben, was ihr anziehen oder sagen sollt.

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Ausgabe 55 PANORAMA

Vorhang auf für die Rechtsprechung von Gestern

„Ein Gesetz, das gegen die Verfassung verstößt, ist kein Gesetz.“ Das sagte einst der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, im Jahre 1803. Die Gesetze sollen laut diesem Zitat in den Gerichten durch die amerikanische Verfassung überprüft werden, es obliegt allein den Gerichten zu sagen, was Recht ist.

Doch auch beim Obersten Gerichtshof stellt sich einem doch schnell die Frage, ob dort alles mit rechten Dingen geschieht. Vor allem, nachdem der Supreme Court ein Grundsatzurteil kippte, das Abtreibungen bis zur 24. Woche der Schwangerschaft erlaubte, fragt man sich doch eigentlich immer mehr: Was ist bloß mit der Rechtsprechung der USA los und warum billigt selbst der Oberste Gerichtshof, welcher doch eigentlich die Gerechtigkeit im Land bewahren und widerspiegeln sollte, solche altertümlichen Gesetze?

Zuerst einmal muss dazu kurz die Rolle des Obersten Gerichtshofes innerhalb des Rechtesystems der USA herausgehoben werden: Jeder Bezirk in den Vereinigten Staaten hat ein zuständiges Bezirksgericht, welches laut der amerikanischen Verfassung dem Supreme Court untergeordnet ist (Artikel 3 der Verfassung). Diese Bundesgerichte und alle anderen Gerichte außer dem Supreme Court können vom Kongress eingesetzt oder abgeschafft werden. Der Kongress kann im Falle des Supreme Court nur die Anzahl der Richtenden bestimmen und im äußersten Falle kann er durch eine Verfassungsänderung die dort festgelegte Zuständigkeit des Gerichtes abändern. Die derzeitige Anzahl der Richtenden beträgt neun, wie im größten Teil der Geschichte des Gerichtshofes seit der Gründung vor 200 Jahren. Ein*e Richtende*r hat den Vorsitz im Gerichtshof, die anderen acht fungieren als Bundesrichtende. Die Richtenden werden vom derzeitigen Präsidenten ernannt, ohne eine Qualifikation vorweisen zu müssen, und bleiben lebenslang im Amt, außer sie werden aufgrund von gesundheitlichen Problemen oder durch einen Beschluss des Senates abgesetzt. Die Hauptaufgabe des Gerichtes besteht darin, festzustellen, ob ein Gesetz oder eine Maßnahme, die die Regierung durchsetzen möchte, der Verfassung entspricht, wobei die schlussendliche Entscheidung nicht einstimmig getroffen werden muss. Um einen Beschluss zu erlangen, muss es nur eine einfache Mehrheit geben, es müssen also sechs Richtende zustimmen. Die Entscheidung, die am Ende bekanntgegeben wird, kann von niemandem angefochten werden.

Durch die lebenslange Amtszeit der Richtenden sitzen ausschließlich ältere Personen im Supreme Court, der Altersdurchschnitt liegt derzeit bei 62 Jahren. Die jüngste Richterin ist 50 Jahre alt und der Älteste unter den Richtenden ist sogar 74 Jahre alt und sitzt, seitdem er 1991 von George W. Bush, dem derzeitigen amerikanischen Präsidenten, ernannt wurde, im Obersten Gerichtshof. Mit ihm sind immer noch zwei weitere Richter, die von George W. Bush ernannt wurden, im Amt. Von dem danach folgenden Präsidenten, Barack Obama, wurden zwei Richterinnen ernannt und von seinem Nachfolger, Donald Trump, zwei Richter und eine Richterin. Vom derzeitigen Präsidenten, Joe Biden, konnte bis jetzt nur eine Richterin ernannt werden, die allerdings die erste schwarze Frau ist, die im Supreme Court ihr Amt ausübt. 

Dieses Gericht, das über landesweite Gesetze bestimmt, ist mittlerweile eher eine Bühne für alte Ideale und Überzeugungen als ein Gericht. Dies liegt daran, dass sich die Parteien und der Präsident die lebenslange Amtszeit der Richtenden gerne zunutze machen. Wenn ein Richtender stirbt oder zurücktritt, besetzt der aktuelle Präsident dieses Amt mit einem anderen Richtenden, der sich für ihre Überzeugungen einsetzt und ihre Idealen teilt.  Dadurch konnten sich die Regierungen und Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte Macht innerhalb der künftigen Gesetzgebung sichern. Selbst wenn der Präsident nicht wiedergewählt wird oder die andere Partei die nächste Wahl gewinnt, können sie immer noch Macht durch ihre ernannten Richtenden ausüben und so an Gesetzen mitbestimmen, da die Richtenden, die sie ernannt haben, ihre Überzeugungen im Gerichtshof verteidigen und diese mithilfe ihrer „juristischen Fähigkeiten“ untermauern können. Diese Richtenden mit z.B. konservativen Überzeugungen können nicht einfach so von der neuen Regierung bzw. vom neuen Präsidenten entlassen oder ersetzt werden.  So vertreten die Richtenden ihre Ideale bis zum Tode und verleihen den vergangenen Präsidenten und ihren Parteien bis dahin eine große Macht.

Bei der derzeitigen Besetzung der Ämter spielt der Präsident, der die Richtenden ernannt hat, eine große Rolle. Die Richtenden, die von den Republikaner George W. Bush und Donald Trump ernannt wurden, sind insgesamt sechs. Die Richtenden, die von den Demokraten Barack Obama und Joe Biden ernannt wurden, sind insgesamt nur drei, obwohl die Demokraten den derzeitigen Präsidenten stellen und die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben. Die Republikaner können also momentan bei jedem Beschluss, der im Obersten Gerichtshof beschlossen wird, eine einfache Mehrheit erreichen und somit über das wichtigste Gericht der USA so gut wie allein über die Zulassung der Gesetze bestimmen, obwohl sie nicht mal die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben. An diesem Beispiel ist gut zu erkennen, welche Auswirkungen die aufgestellten Richtenden auf die Gesetzgebung haben. Das wichtigste Gericht der USA, das die Mitte und die Bühne der Gerechtigkeit sein sollte, ist zu einer Bühne der Demokraten und Republikaner geworden. Eine Bühne alter Ideale, die sich in Form von Gesetzen auf die heutige Gesellschaft massiv auswirken. Diese „alte Bühne“ alleine spricht aus, was Recht ist. Diese „alte Bühne“, die an die Politik von heute, aber vor allem an die Politik von gestern gebunden ist, wobei so etwas herauskommt wie das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen oder das Recht, Kinder zu schlagen.

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Ausgabe 55 PANORAMA

Iranerinnen fordern ihre Freiheit

Im Iran gelten seit der Islamischen Revolution 1979 besonders für Frauen strenge Kleidungsvorschriften, die ihnen lediglich erlauben, Gesicht, Hände und Füße zu zeigen.  Wirft man jedoch einen Blick auf die Mode in einigen iranischen Städten, wird schnell klar, dass sich figurbetonte Kleidung häuft.

Um zu vermeiden, dass so etwas zur Allgemeinheit wird und die iranischen Sitten vernachlässigt werden, wurde die Sittenpolizei eingesetzt, die beim Missachten der Regeln oft Gewalt in verschiedenen Formen einsetzt.  Frauen im Islam ist es vorgeschrieben, ihren Körper und ihre Haare bestmöglich zu verhüllen. Diese Vorschrift aus dem Koran soll vorrangig zum Schutz der Frauen dienen und sie vor herabwürdigendem Kontakt mit Männern bewahren, da die Haare ein wichtiger Bestandteil des weiblichen Schönheitsideals sind. Für viele bedeutet das Tragen eines Kopftuches keine Einschränkung, da sie damit ihren Glauben ausleben und ihre Verbundenheit zu ihm ausdrücken können. Außerdem kann das Verhüllen des Körpers dazu beitragen, mehr auf die inneren Werte zu achten. Sie tun es also aus religiöser und zum Teil auch feministischer Überzeugung heraus. Andere hingegen stört diese Beschränkung in ihrem Land. Das veranlasst immer mehr Iranerinnen, gegen die Kleidungsvorschriften zu verstoßen. Im Islam ist es verboten, andere zu zwingen, nach ihrer Religion zu leben.  Die strengen Regeln im Koran sollen freiwillig von den Gläubigen befolgt werden und sind keineswegs dazu gedacht, sie nur aus Angst vor der Regierung oder Polizei einzuhalten. Daher sollte es den Iranerinnen selbst überlassen werden, wie und ob sie den Hijab, eine Form des Kopftuches, zu tragen haben. Aufgrund der gewalttätigen Sittenpolizei fühlen sich mehr Iranerinnen unterdrückt. Sie haben Angst, dass es ihnen, wenn sie die Vorschriften nicht einhalten, genauso ergeht wie anderen Frauen, z.B. der 22-jährigen Mahsa Amini, die in Inhaftierung starb. Bei ihr griff die Sittenpolizei ein. Offiziell ist sie schlussendlich aufgrund gesundheitlicher Probleme verstorben, doch nahezu niemand glaubt daran, besonders ihre eigene Familie nicht. Es wird davon ausgegangen, dass die Polizei sie zu Tode folterte. 

Nachdem ihr Tod bekannt gegeben wurde, veröffentlichten einige Iranerinnen Videos, auf denen sie sich ihre Haare abschneiden.  Mit diesen Videos wird ihre Trauer über die Geschehnisse, aber auch ein Unabhängigkeitswunsch deutlich, denn sich ohne eine Art der Kopfbedeckung im Internet zu zeigen, braucht viel Mut. Zusätzlich schneiden sie sich als Zeichen von Trauer das Haar. Bei Kurden ist es üblich, das eigene Haar auf das Grab einer verstorbenen Person zu legen. Zugleich bedeutet dieser Akt für die Frauen aber auch eine Geste des Protestes gegen die bestehenden Regeln und den Umgang mit ihnen. Daraufhin folgten Frauen weltweit dem viralen Format und brachten so ihre Solidarität zum Ausdruck. Besonders in einem privilegierten Land wie Deutschland ist es wichtig, seine Unterstützung zu anderen Ländern, deren Bürger aus verschiedensten Gründen misshandelt werden, zu zeigen.

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Ausgabe 55 SCHULE

Die Letzten ihrer Art

„Ob die Runde Yu-Gi-Oh Teil eurer Matheaufgaben ist, hab ich gefragt!“ Leider konnten wir das Kartenspiel nicht schnell genug einpacken, ehe der Lehrer wiederkam. Doch wer soll diese Aufgaben verstehen? Wie, wenn die Lehrerin seit den ersten Wochen nach den Ferien fehlt? Fragen kann man auch niemanden.

Der „Lehrer“ (eher: der Betreuer) der uns und parallel zwei andere Klassen „unterrichtet“ (eher: versucht zu bändigen) hat Deutsch und Englisch als Fächer. Außerdem war ich noch nie so talentiert, was Algebra angeht…
Vor allem in den MINT-Fächern (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), aber auch anderswo fehlen in Deutschland Lehrer. Der Deutsche Lehrerverband geht von 30.000 bis 40.000 unbesetzten Stellen zu Beginn des Schuljahres 2022/23 aus. Niedersachsen steht noch relativ gut da: Jede fünfte Stelle war hier zum Schulbeginn unbesetzt. Wie allzu oft sind die Bundesländer, die weiter im Osten liegen, stärker betroffen. In Berlin waren bereits im letzten Jahr 60% aller neuen Lehrkräfte Quereinsteiger, zu Beginn dieses Jahres war jede dritte Stelle unbesetzt. In Niedersachsen lag die Quereinsteigerquote der Neueinstellungen dieses Jahr bei gerade einmal 7%. Insgesamt sei eine Verschlechterung der Situation gegenüber den Vorjahren zu vermerken. All diese Daten stammen aus einer Abfrage des Deutschen Schulportals.

„Mehr Geburten und hohe Pensionierungsraten sind etwas, was Schulleitern schon seit einigen Jahren Kopfschmerzen bereitet.“


Letzteres hängt mit dem Lehrerzuwachs der 1960er und -70er Jahre zusammen, welche nun seit einigen Jahren aus der Arbeitswelt treten. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine brachte üvber 200.000 ukrainische Schülerinnen und Schüler nach Deutschland, welche die Situation zusätzlich verschärften. So steigt natürlich die Nachfrage nach Lehrkräften – warum also nimmt die Zahl der Lehramtsabsolventen ab?
Geht einmal in euch: Könnt ihr euch vorstellen, Lehrerin oder Lehrer zu werden? Wahrscheinlich war eure Antwort ein Nein, denn der Beruf wird immer unbeliebter. Junge Menschen verzichten oft auf die Stabilität, die das Lehrerdasein mit sich bringt. Zugunsten von Dingen wie Aufstiegschancen oder Flexibilität in Arbeitsort und Zeiteinteilung entscheiden sich viele für ambitioniertere Laufbahnen. Einen Grund finde ich noch interessanter: Der Ruf des Lehrers hat sich auf eine Art gewandelt, die Probleme mit sich bringt.
Damit ist nicht gemeint, dass wir alle wieder Schüler schlagen und in Ecken setzen sollten. Lehrer waren bis bis weit in das 20. Jahrhundert vor allem Autoritätspersonen. Heute dienen sie eher als Lernhelfer, als Ansprechpartner auf Augenhöhe, bei dem Respekt auf Gegenseitigkeit beruht und nicht nur dem Lehrer gebührt – so die Theorie. Doch welches Lehrerbild hat sich wirklich in den letzten 30 Jahren geformt? Eltern beschweren sich über zu schlecht benotete Kinder, schenken Lehrern nicht mehr das Vertrauen, die Schüler richtig einzuschätzen. Es liegt nie am Nachwuchs, immer an der Lehrkraft. Unter Schülern waren Lehrer wahrscheinlich noch nie so richtig beliebt. In Hinblick auf bis in die 1980er verwendete Methoden ist das sicherlich verständlich. Und heute? Obwohl kaum einem Beruf so viel Aufwand und Bedeutsamkeit zukommt, ist er gleichzeitig einer der am wenigsten wertgeschätzten. Körperliche Gewalt und Beleidigungen gegen Lehrer nehmen zu. Ich erinnere mich noch, eine generelle Abneigung gegenüber Lehrern zu empfinden. Schule war nicht immer etwas, was ich gerne tat. Das Frustablassen gelang an Lehrern am einfachsten. Sobald der Unterricht vorüber war, wurde über sie losgezogen, dabei wird es schnell persönlich. Auch in höheren Jahrgängen bleibt das keine Seltenheit. Anfangs sollte das hier ein Artikel sein, der zusätzlich einige Makel von Lehrern hervorhebt (der alte Titel war übrigens „Lehrermangel und Lehrermängel“). In der Kaktus-Redaktion wurden in dieser Hinsicht Erfahrungen geteilt, die erschrecken können. Es gibt Lehrer, die ihre Arbeit nicht gut machen: Langweiliger Unterricht, unfaire Benotung, Bevorzugung mancher Schüler, ja, auch das Werfen mit Kreide. Doch nicht immer liegt das an einer Grundeinstellung, auch Lehrer haben schlechte Tage. Ein Großteil der Lehrer übt ihre Pflicht in einem Maße aus, welches ihrer Wichtigkeit gerecht wird. Leider müssen vor allem diese mit Burnouts rechnen, welche nicht untypisch für den Lehrerberuf sind. Wir können für uns alle das Schulleben leichter machen, wenn wir diese Mühe mehr anerkennen. Lehrerverbände haben viele Forderungen, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Das Erweisen von Achtung und Respekt ist eine, die wir alle verwirklichen können.

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Ausgabe 55 TITELTHEMA

Würde bis zuletzt

Wortwörtlich eisiger Regen erwartet uns, als wir unseren Weg Richtung „Hospiz Am Wattenmeer“ antreten. Der Regen prasselt in einem einvernehmlichen Takt auf uns ein und natürlich am Tag unseres Besuches im Hospiz hat der liebe Wetterfrosch noch eine reichliche Portion Schnee und Kälte für uns übrig, vom Wind mal ganz abgesehen.

Das Wetter verbreitet eine leicht traurige Stimmung, was dann doch wieder zu diesem Tag passt. Naja, zumindest wie wir anfangs denken, würde dies eher ein trauriger Ausflug an einen traurigen Ort werden. Wie gesagt, das denken wir anfangs… Schon vor unserem Besuch haben wir über den Tod und den Umgang mit ihm nachgedacht. Das Erste, was uns auffiel: die große Unsicherheit im Umgang mit diesem Thema. Da das Titelthema dieser Ausgabe „Unsicherheit“ ist, ist die Redaktion in einer der allwöchentlichen Diskussionsrunden auf das Thema Tod gekommen. Da hat sich erst einmal eine bedrückte Stimmung im Raum breitgemacht, die man auch als Unsicherheit identifizieren könnte. Wir waren uns alle einig: Darüber kann man schreiben und das muss man auch! Das kann doch nicht angehen, dass in unserer Gesellschaft, in der doch sonst alles laut ausgesprochen und diskutiert wird, nicht über so ein einschneidendes und wahrhaftig lebensveränderndes Thema gesprochen wird.  Ihr habt doch sicherlich schon selbst mitbekommen, dass das Thema nicht so oft angesprochen wird oder, wenn es unbedingt angesprochen werden muss, der Blick wieder schnell auf andere banale Themen abgelenkt wird, oder?

Dies liegt wahrscheinlich daran, dass es sich bei dem Tod um einen unerwarteten Schicksalsschlag handelt, der für uns unbegreifbar ist und uns unwirklich und endgültig erscheint. Mit dem Tod sind viele große Hürden verbunden, die mit der aufwendigen Pflege der Sterbenden, die oftmals durch die Familie übernommen wird, anfangen, mit dem Wunsch der Sterbenden, die Angehörigen nicht zu belasten, weitergehen und mit der eigenen Trauer enden. 

Um die Familie nicht mit einer belastenden Situation der Pflege, die neben dem Alltag gemeistert werden muss, allein zu lassen, gibt es Hospize. Dabei handelt es sich um eine stationäre Pflegeeinrichtung, die ihren Schwerpunkt darauf legt, sterbenden Menschen ein würdiges und selbstbestimmtes Leben bis zum Ende zu ermöglichen.

Über die eine oder andere dieser Tatsachen denken wir auf dem Weg zum Hospiz nach, aber vor allem denken wir auch über die Kälte nach, die uns in die Knochen kriecht. Der Regen und der Schnee versiegen glücklicherweise, doch dann haben wir mit dem zurückgebliebenen Regenwasser und Schneematsch zu kämpfen. Den Weg bringen wir trotz des Wetters und der durchnässten Schuhe hinter uns. Es stellt sich also nur noch eine Sache zwischen uns und unseren Besuch im Hospiz: der Coronatest! Zum Glück befindet sich direkt neben dem Hospiz ein Testzentrum, das die gesamte Gruppe von sieben Leuten testen kann. Das Testen geht reibungslos vorüber, doch das Regenwasser hat einen kleinen Fluss zwischen der Teststation und dem Unterstand mit Stühlen gebildet. Also heißt es aufpassen, dass die nassen Schuhe nicht komplett zu einem Teich werden. Wir überstehen auch die Wartezeit in der nassen Kälte und machen uns mit unseren negativen Tests auf ins Hospiz.

Das Erste, was wir hören, als wir das Hospiz durch eine seitlich gelegene Tür betreten, überrascht uns sehr. Wir vernehmen ein lautes, schallendes und wahrhaftig fröhliches Lachen, das durch das ganze Gebäude hallt. Das ist die erste Überraschung bei unserem Besuch im Hospiz. Eigentlich haben wir eine eher bedrückte Atmosphäre erwartet, doch auch Herr Hinrichs, Leiter des Hospizes, und Herr Winkel, stellvertretender Leiter des Hospizes, die uns in einem freundlich eingerichteten Besprechungsraum empfangen, vermitteln eine aufgeschlossene Freundlichkeit. Aus unseren Überlegungen haben sich einige Fragen ergeben, die wir nun in einem Interview mit den erwähnten Herren gestellt haben.

Die erste Frage ergibt sich ziemlich schnell und war auch schnell beantwortet. In einem Hospiz werden die Bewohner „Gäste“ genannt. Zumindest in unserem „Hospiz am Wattenmeer“, so erklärt uns Herr Hinrichs, sei es so üblich. Das Thema wurde abgestimmt, in Westersteder Hospiz zum Beispiel werden die Gäste „Bewohner“ genannt. Hier spalten sich die Meinungen und laut dem Hospizleiter ist das immer etwas anders. Außerdem ist es Herrn Hinrichs wichtig, uns darauf hinzuweisen, dass die Angehörigen hier „Zugehörige“ genannt werden, da sie ja zu dem Gast zugehören. Hiermit sind nicht nur enge Familie, sondern auch Freunde oder Partner gemeint. Sogar Haustiere dürfen die Gäste mitbringen, Hunde, Vögel, Katzen, da besteht eigentlich kein Problem. Das Einzige, das hier als Bedingung feststeht, ist, dass die Haustiere selbst versorgt werden müssen.

Als wir vorher über unsere Fragen nachdachten, hatten wir uns außerdem gefragt, wie so ein klassisches Gästezimmer denn aussehen könnte. Wie im Krankenhaus vielleicht? Nachdem das Hospiz schon so freundlich auf uns gewirkt hat, kann sich das jetzt beim Besuch keiner mehr wirklich vorstellen.

Leider sind alle acht Zimmer momentan belegt, aber die beiden beschreiben uns, dass die Räume doch ganz gemütlich wirken. Es gibt nicht nur im ganzen Gebäude Internet, sondern auch in jedem Zimmer einen Fernseher, Außerdem eine Terrasse, holzverkleidete Möbel, Platz für Bilder und natürlich hat auch jeder ein eigenes Badezimmer.  

Und wenn einem dennoch das Zimmer zu klein wird? Wenn man mal kurz raus will? Wie funktionieren denn Ausflüge oder kleine Spaziergänge? Auch hier freuen wir uns über die Antwort. Denn natürlich werden die Gäste damit nicht allein gelassen. Ausflüge nach Dangast oder kleine Spaziergänge sind immer in Ordnung, solange ein Pfleger mit dabei ist, schließlich muss man immer auf einen Notfall vorbereitet sein. Eine weitere unserer Fragen ist, wann denn die Zugehörigen überhaupt kommen dürfen. Wir fragten uns, ob es feste Besucherzeiten gibt. Freundlich wird uns erklärt, dass Zugehörige immer kommen können. Sie haben sogar extra ein Zugehörigenzimmer, in dem diese dann übernachten können, allerdings ist es meistens eher erwünscht, mit dem Gast in einem Zimmer zu schlafen, hier besteht natürlich immer die Möglichkeit eines Aufklappbettes. 

In so einem Hospiz arbeiten natürlich auch immer eine Menge Leute, die dort in unterschiedlichen Bereichen unterschiedliche Aufgaben haben. Und zu unserer Überraschung stellt sich heraus, dass so ein Hospiz eine Menge Arbeit benötigt, mehr als wir erwartet hätten. Zum einen gibt es die Alten- und Krankenpflege, die sich um die Gäste kümmert. Hausmeister und Hauswirtschaftskraft kümmern sich um die ,,Erhaltung des Hospizes“ und die Verwaltungskraft um die Verwaltung. Dann gibt es noch die Sozialarbeit und das Leitungsteam. Das Leitungsteam kommt aus der Kranken- und Altenpflege, erklärt uns Herr Hinrichs geduldig, und habe eine gewisse Zusatzqualifikation. Ein großer Teil der Mitarbeiter besteht aus Ehrenamtlichen. Aktuell, so der Leiter, seien es um die 20 ehrenamtlich Tätige, zuallererst würden sie in einem Kurs ausgebildet, um ,,fähig zur Sterbebegleitung zu sein“. Die Ehrenamtlichen bringen eine Art Alltag in das Hospiz, sie lesen den Gästen vor, gehen mit ihnen spazieren oder kochen zusammen. Dann wird uns erklärt, dass nach dem Drei-Schicht-System gearbeitet wird, es also Frühdienst, Spätdienst und Nachtdienst gibt. Dies findet immer zu zweit statt. Manchmal gab in den letzten Jahren auch Pflegeschüler.

Jeder weiß, dass in einem Hospiz Leute sterben, aber wie gehen die Pfleger eigentlich damit um?  Wir hören, dass Tränen dazugehören und helfen, die Trauer auszuleben, um den Tod zu verarbeiten. Also ja, PflegerInnen trauern, aber die meisten kommen mit dem Thema Tod gut zurecht, obwohl dieses Thema für viele Menschen so ein schwieriges Thema ist und sich viele unsicher in Sachen Tod fühlen. Aber natürlich hat das Hospiz auch ein paar Rituale, die im Falle eines Todes abgehalten werden. Zum einen wird ein bestimmtes Buch auf den sogenannten Traueraltar gelegt – wobei Traueraltar vielleicht nicht die richtige Umschreibung ist, es ist eher ein kleiner Altar mit ein paar Dekoelementen, einer Kerze, die im Falle eines Todes angezündet wird. Der Altar ist liebevoll und auch ein wenig freundlich gestaltet und nicht so traurig und dunkel, wie man es bei einem Traueraltar vielleicht denken würde. Auf diesen Altar wird dieses Buch gelegt, auf dessen offene Seite der Name der verstorbenen Person aufgeschrieben wurde. So kann jeder, der will, auch noch ein wenig um den Verstorbenen trauern. Vielleicht fragst du dich jetzt, ob im Notfall medizinische Ausrüstung verwendet wird, um ein Leben zu verlängern. Wir haben das zumindest getan, wurden aber beruhigt. Die Gäste dürften so etwas selbst entscheiden, so Herr Hinrichs. Das komme aber immer auf die Situation, den Gast und die Ernährung des jeweiligen Gastes an. Medikamente werden in so einem Fall vor allem zur Schmerzlinderung verwendet, im Notfall auch Morphium, hier gelte die Regel: je weniger, desto besser. 

Stell dir vor, es ist kurz vor Weihnachten, aber bei einem Gast steht schon fest, dass er oder sie bis dahin nicht mehr leben wird. Wir wollten wissen, ob es in so einem Fall etwas wie ein „Vorfeiern“, auf den Wunsch des Gastes hin, gibt. Die beiden Leiter erzählen uns von einem Vorfall, in dem klar war, dass die Mutter die Einschulung ihres Kindes nicht mehr miterleben wird. Das Hospiz half ihr dann dabei, die Schultüte vorher zu packen, und ein Video für ihr Kind zu machen. Also: Ja, natürlich kann es eine Vorfeier auf den Wunsch des Gastes geben. 

Auch ein ganz aktuelles Thema hat uns beschäftigt, in den Medien geht es immer wieder um die Legalisierung von Cannabis. Da entsteht natürlich die Überlegung, wie das Hospiz mit so etwas umgeht. Darf also Cannabis eingesetzt werden? Zum Beispiel zur Entspannung des jeweiligen Gastes oder zur Schmerzlinderung? Im Prinzip ist es okay, es muss nur von einer Apotheke beantragt und von einem Arzt begleitet werden. 

Zum Schluss fragten wir noch, wie lange man auf einen Platz im Hospiz am Wattenmeer eigentlich warten muss und wie der Aufenthalt dort eigentlich bezahlt wird. Um in einem Hospiz aufgenommen zu werden, braucht man bestimmte Voraussetzungen, erzählt uns der Leiter. Hier gibt es vier Bereiche. Die Erste ist die onkologische Erkrankung, diese muss immer in Verbindung zur Lebensverkürzung stehen. Dann gibt es noch die neurologische Erkrankung, weshalb man ins Hospiz eingeliefert werden könnte, damit sind fortgeschrittene Lähmungen oder z. B. eine ALS-Erkrankung gemeint, es kann aber auch ein Schlaganfall sein. Mit einer Herzkreislauf-Erkrankung ist so etwas wie Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz oder eine Lungenerkrankung gemeint. 

Vielleicht hast du ja schon mal von deinen Großeltern mitgekriegt, dass sie Probleme mit dem Herz oder der Niere hatten oder haben? Der Unterschied zwischen den Hospiz-Gästen und deinen Großeltern ist, dass die Gäste schon eine weit fortgeschrittene Krankheit haben, die nicht mehr geheilt werden kann.

Der vierte mögliche Grund für einen Hospizaufenthalt ist das Vollbild der Erkrankung Aids. Natürlich braucht auch ein Hospiz eine Einkommensquelle. Wir erfahren bei unserem Besuch, dass der Aufenthalt jedes Gastes zu 95% von den Kranken- und Pflegekassen bezahlt werden. Die restlichen fünf Prozent sind Spenden.

Bereits im Verlaufe des Gesprächs werden wir von Herrn Hinrichs auf eine Haus-Tour eingeladen, um eine bessere Vorstellung über den Alltag im Hospiz zu erlangen. 

Vom Versammlungsraum geht es für die Kaktus-Redaktion zunächst durch einen Flur, vorbei an einer kleinen bereitgestellten Bücherei für Gäste, bis hin zum Empfangs-Foyer. Unser erster Stopp liegt bei einem der wichtigsten Rituale des Hospizes, dem ,,Gästebuch“, in dem jeder Verstorbene eine Seite bekommt, um verewigt zu werden. Am entsprechenden Tag liegt diese Seite aufgeschlagen in Kombination mit einer brennenden Kerze zum Gedenken auf einem kleinen frei zugänglichen Tisch. Zugehörige des Verstorbenen wird die Möglichkeit gegeben, die Kerze auch selbst auszupusten, was einem das Gefühl des Loslassens erleichtern soll. Sollte es zu dem Fall kommen, dass mehrere Gäste im Laufe eines Tages versterben sollten, wird dafür gesorgt, dass mehrere aufgerollte Buchseiten sowie Kerzen bereitstehen. Niemand wird ausgelassen, alle werden gleichbehandelt. 

Ist das selbstgestaltete blaue Gästebuch des Hospizes einmal voll, wird es in ein Regal im farbenfrohen Gemeinschaftsraum mit Nordsee-Akzent verstaut und ein Neues wird auf dem Tisch bereitgestellt.

Später auf unserer Rundführung zeigen uns Herr Hinrichs und Herr Winkel außerdem einen speziell angefertigten Holzaufsteller mit einem kleinen Segelboot versehen sowie einer weiteren Kerze, welche vor die Zimmertür der Verstorbenen gestellt wird. Diese Geste hat zwar letztlich den selben Hintergrundgedanken, nur wirkt sie familiärer. 

Obwohl es kein leichtes Gesprächsthema ist, wird uns anhand dieser Rituale erneut bewusst, dass der Tod einen Teil des Lebens einnimmt und natürlich ist. Gleichzeitig beweisen sie, dass man trauern darf und Trauer auch essentiell notwendig ist, um mit dem Verlust eines Vertrauten zurechtkommen zu können. 

Beim weiteren Zeigen der Räumlichkeiten, wie dem Lager oder einem großen, gemütlich eingerichteten Badezimmer mit zusätzlichem Massagesessel durchkreuzen wir ein Foyer mit einem prachtvollen Flügel. Dabei erklärt man uns, dass mehrmals im Monat eine Musikerin das Hospiz besuchen würde, um ein kleines Konzert zu veranstalten, bei dem sich Gäste auch Stücke wünschen dürfen. 

Passend dazu steht daneben ein ,,Wunschbaum“, an dem Anliegen in Papierform gehängt werden können, die sich hauptsächlich aus Gutscheinen zusammensetzen. 

Als nächstes folgt das von Sonnenschein hell erleuchtete, großräumige Esszimmer, in dem sich hinten eine minimalistische Küche mit Arbeitsplatten befindet, was den großen Esstisch umso mehr zum Vorschein bringt. 

Dieser ermöglicht ein weiteres Ritual des Hospizes am Wattenmeer, nämlich das gemeinsame Essen mit Personal, Gästen und Zugehörigen, welches die familiäre und vertraute Atmosphäre noch deutlicher betont. 

Unsere nächste Station der einzigartigen Rundführung liegt im wunderschönen Garten der Pflegeeinrichtung, der begleitet von einem Grillplatz und vielen individuellen Terrassen der Gästezimmer auch einen vielfältigen Kräutergarten bereitstellt. Trotz des zuvor herrschenden Aprilwetters samt Regen, Hagel und Schnee (und das im Februar wohl gemerkt), erzeugt der Anblick des Gartens einen angenehmen und harmonischen Ton und bietet das perfekte Finish für eine gelungene Rundführung. 

Wieder im Besprechungsraum angelangt, bedanken wir uns herzlich für das ausführliche und prägende Gespräch sowie die Führung und ziehen, dieses Mal ohne strömenden Regen, wieder zurück zum Schulgebäude. Ein bereichernder Tag geht für die Kaktus-Redaktion zu Ende.